Sichtlich gut gelaunt empfängt Post-Chef Roberto Cirillo (52) den Blick am Hauptsitz in Bern-Wankdorf zum Interview. Dabei steht er mit seinem Staatskonzern in der Kritik. Die Post erhöht die Portopreise, baut Personal ab, wie Blick publik machte, und gleichzeitig gibt der gelbe Riese Millionen für Bäume aus. Cirillo nimmt Stellung – und macht klar, was er vom Bundesrat erwartet.
Blick: Herr Cirillo, geht Ihre Post-Strategie noch auf?
Roberto Cirillo: Ja, die Umsetzung ist gut auf Kurs. Aber wir müssen uns an die Realität anpassen. Als wir unsere Strategie vor vier Jahren festgelegt haben, wusste man nichts von Corona und Teuerung. Das heisst, wir müssen gleichzeitig Kurs halten und Korrekturen anbringen.
Was für Korrekturen?
Wir reagieren auf das starke Anziehen der Inflation, denn unsere Kosten sind schneller gewachsen als geplant. Deshalb müssen wir rascher Effizienzmassnahmen umsetzen.
Jetzt müssen Sie Leute entlassen.
Es werden Stellen wegfallen, ja. In den Funktions-Bereichen, in denen nun gespart wird, ist der Lohnkosten-Anteil höher als anderswo. Es werden aber nicht die ganzen gut 40 Millionen durch Stellenstreichungen gespart werden.
Einige Hundert Leute verlieren aber ihren Job.
Ich spekuliere nicht! Wenn die Teams ihre Arbeit gemacht haben und die Konsultationsverfahren mit den Mitarbeitenden-Vertretungen abgeschlossen sind, kennen wir Anfang nächsten Jahres die Zahl.
Gleichzeitig kaufen Sie für 70 Millionen Franken ein Waldstück in Deutschland und gönnen sich ein zweitägiges Festival. Wie geht das zusammen?
Sie müssen die Grössenordnungen sehen. Die Post gehört mit ihren 47’000 Mitarbeitenden zu den grössten Arbeitgebern in der Schweiz. Wir erwirtschaften etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und wir müssen diesen grossen Konzern klimaneutral machen. Dafür legen wir uns ins Zeug, unter anderem, indem wir das Waldstück in Deutschland so bewirtschaften lassen, dass es erstens besonders viel CO₂ bindet. Zweites muss für die CO₂-Neutralisation das CO₂ langfristig gespeichert werden, indem das Holz für Bauten oder für die Produktion von Pflanzenkohle verwendet wird.
Genau diese Wirksamkeit wird bestritten. Die Post soll den Forst überzahlt haben. Zudem stehen Sie im Verdacht, Greenwashing zu betreiben.
Das ärgert mich! Wir investieren weit mehr als 1,5 Milliarden Franken für die CO₂-Reduktion. Wir elektrifizieren den gesamten Fuhrpark und stellen überall Fotovoltaik-Anlagen auf die Dächer. Zudem isolieren wir unsere Gebäude. Und wir lassen in unserem Wald Bäume pflanzen, die trotz Klimaerwärmung gedeihen, später für den Hausbau verwendet werden und so das CO₂ langfristig binden. Experten attestieren uns, dass das ein wirksamer und wirtschaftlicher Weg ist. Und wir haben den Wald zum Marktpreis gekauft. Von wegen Greenwashing! Der Wald wird in unserer Treibhausgasbilanz nicht abgebildet sein. Wir beabsichtigen, ab 2030 nur das im Bauholz gebundene CO₂ anrechnen zu lassen. Noch was …
Ja?
Wir wollten nicht Land irgendwo weit weg kaufen, sondern im nahen Ausland oder der Schweiz, wo wir kontrollieren können, was passiert. Die Investitionen in Start-ups, die der Luft CO₂ entziehen, sind heute noch viel zu teuer. Wir haben keine andere Möglichkeit gesehen, bei der Kosten und Nutzen für uns in einem so guten Verhältnis stehen wie hier. Wir sind halt die ersten, die zur CO₂-Neutralisation ein Waldstück gekauft haben und dieses nachhaltig bewirtschaften lassen. Als Pionier stösst man immer auf Widerstände.
Der Nutzen des Post-Festivals ist jedoch eher …
Die Post ist nicht 175 Jahre alt geworden, weil sie von Maschinen angetrieben, sondern von Menschen vorangebracht wird. Das Festival war ein Dankeschön an diese Mitarbeitenden. Ich bin stolz, dass wir das gemacht haben. Noch nie in meiner Zeit an der Spitze der Post habe ich so viele E-Mails, Briefe und Postkarten erhalten. Die Freude über das Event ist riesig.
Sie verstehen aber die Kritik, oder? Sie haben gejammert, es brauche unbedingt höhere Portogebühren. Dann geben Sie 70 Millionen für Bäume, 3 Millionen für Stars aus und müssen gleichzeitig Entlassungen bestätigen.
Ein Grosskonzern wie die Post muss langfristig planen und handeln – und dennoch kurzfristig auf Veränderungen reagieren. Natürlich kann es da zu kommunikativen Dissonanzen kommen. Wahrscheinlich war unsere Kommunikation nicht optimal, ja. Aber um die Finanzierung der Grundversorgung langfristig sicherzustellen, muss sich die Post anpassen. Nur so können wir selbstfinanziert weiterbestehen.
Können Sie das überhaupt? Sind wir nicht am Punkt, an dem man wählen muss zwischen Abbau beim Service public oder Subventionen?
Nein – nein – nein! Wir haben ein Modell, um die Post eigenwirtschaftlich in die Zukunft zu führen. Und das geht auf. Aber wir können nicht einfach stillsitzen. Viele meinten, dass die Postfinance in Zeiten von Negativzinsen kein Geld verdienen kann. Sie hat das Gegenteil bewiesen. Aber nur, weil sie reagiert hat. Und jetzt, wo die Zinsen steigen, werden wir ein signifikant besseres Resultat erzielen. Doch dass das so kommt, dafür hat Postfinance die richtigen Weichen gestellt. Im ganzen Konzern müssen wir alle unternehmerischen Hebel umlegen, um gesund zu bleiben.
Welche?
Eine gesunde Post darf keinen Auftrag haben, der von der Bevölkerung nicht nachgefragt wird. Unser Grundversorgungsauftrag nach 2030 muss sich an den Bedürfnissen der Schweizerinnen und Schweizer im Jahr 2040 oder 2050 ausrichten. Es macht keinen Sinn, wenn Bundesrat und Parlament uns zu Dienstleistungen verpflichten, die keiner braucht.
Zum Beispiel dazu, dass Frau Müller im letzten Bergdorf jeden Werktag ihre Post erhält, obwohl dreimal die Woche genügen würden?
Nein, wir sind nicht irgendein Unternehmen. Die Post ist eine Institution, dazu gehört, dass alle Menschen der Schweiz denselben Zugang zu Dienstleistungen haben. Doch die Form der Dienstleistung muss mit der Zeit gehen. Jeder soll unbedingt weiterhin Einzahlungen machen können. Aber muss das zwingend am Schalter sein? Oder: Sie bestellen gegen Abend bei Zalando und bekommen das Päckli am folgenden Nachmittag. Die Tageszeitungen müssen aber bis 12.30 Uhr in Ihrem Briefkasten liegen. Dabei könnte der Pöstler Briefe und Pakete zusammen bringen.
Wie stellen Sie sich das vor?
Die 12.30-Uhr-Grenze für die Zustellung von Tageszeitungen sollte fallen. Heute sind viele Leute über Mittag gar nicht mehr zu Hause. Es macht für sie keinen Unterschied, wann wir die Briefe und Zeitungen einwerfen. Wir müssen die Freiheit haben, uns an den Bedürfnissen der Kunden auszurichten. Wir werden nicht Jahr für Jahr zur besten Post der Welt gewählt, weil wir stehenbleiben, sondern weil wir uns anstrengen und stetig die Qualität erhöhen.
Anders als die SBB. Was unterscheidet die Post von dieser?
Ich kann nur für die Post sprechen: Bei uns kommt die Qualität immer an erster Stelle. Wir haben beispielsweise auch während Corona in Postauto investiert, obwohl die Postautos damals leer herumfuhren. Unter meiner Führung heisst es «Qualität first», dann erst kommt die Wirtschaftlichkeit.
Sie wollen sich also nicht nächstens von den Filialen verabschieden?
Nein, unser Netz an Zugangspunkten ist absolut notwendig. Aber wir müssen die Freiheit bekommen, es so anzupassen, dass es von den Menschen genutzt wird. MyPost24, also diese Automaten, bei denen man Pakete, Briefe und sogar Einschreiben abgeben und abholen kann, ist unsere meistgenutzte Dienstleistung. Hier müssen wir investieren, weil die Menschen nicht an Öffnungszeiten gebunden sein wollen. Die Gesellschaft wird digitaler und mobiler, dem sollte der Bund Rechnung tragen. Leere Poststellen bringen nichts.
Wenn das Briefvolumen weiter zurückgeht, braucht es keine A- und B-Post mehr.
Doch, A- und B-Post sind beliebt. Mein Wunsch wäre, dass die Politik uns den Rahmen vorgibt, dass die Post aber selbst entscheiden kann, welche Dienstleistungen sie in diesem Rahmen anbietet. Beispielsweise verlangen Bevölkerung und Firmen eine sichere und zuverlässige postalische Dienstleistung in digitaler Form, die genauso anerkannt wird wie ein eingeschriebener Brief.
Also eine sichere E-Mail?
Nein, eben keine Mails. Sie sind nicht sicher genug. Es braucht elektronische Post, mit viel höherer Sicherheit. In Dänemark hat jede Bürgerin und jeder Bürger ein Konto, sowohl privat wie geschäftlich, damit wird die elektronische Kommunikation sicher abgewickelt. Das funktioniert bestens. Aus meiner Warte müsste das zum Grundversorgungsauftrag der Schweizerischen Post gehören. Von Dingen, die sich überlebt haben, sollte man sich hingegen verabschieden. Oder benutzen Sie etwa heute noch ein Faxgerät? Ich hoffe, dass der Bundesrat dem bei seinen Vorgaben für die Post nach 2030 Rechnung trägt.