Die Überraschung ist perfekt: Die deutsch-schweizerische Autorin Sibylle Berg (62) («GRM. Brainfuck») sitzt künftig im EU-Parlament. Sie ist für die Jux-Liste «Die Partei» angetreten, die nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis auf 1,9 Prozent kommt und damit zwei Sitze in Brüssel und Strassburg hat. Auf Listenplatz 1 stand Parteigründer Martin Sonneborn (59), der ehemalige Chefredaktor der Satire-Zeitung «Titanic». Berg zieht auf dem zweiten Listenplatz ins EU-Parlament ein.
Sibylle Berg wurde 1962 in der DDR geboren. 1984 stellte sie einen Ausreiseantrag und ging nach Hamburg, wo sie Politikwissenschaft studierte. Laut eigenen Angaben zog Berg vor 27 Jahren in die Schweiz und hat seit 2012 auch einen roten Pass.
«Ich zahle meine Steuern auf Guernsey»
Obwohl sie ausserhalb der EU lebt und in der EU keine Steuern zahlt, konnte sie trotzdem für Brüssel und Strassburg kandidieren. Laut Europawahlgesetz muss sie lediglich Deutsche sein und das 18. Lebensjahr vollendet haben: «Ein Haupt- oder Nebenwohnsitz in der Europäischen Union ist keine Voraussetzung für die Wählbarkeit», teilt das Bundesinnenministerium in Berlin mit.
Die Frage nach den Steuern kontert Berg gegenüber Blick mit Humor: Sie zahle ihre Steuern auf der Insel Guernsey, sagte Berg vor den Wahlen, und stellte klar: «Kleiner Scherz. Wie jeder Schweizer in der Schweiz. Ausser die sehr Reichen, die zahlen sie in Luxemburg, den Niederlanden, auf den Kaimaninseln oder gar nicht.»
Auf ihren Zürcher Wohnsitz angesprochen, meint Berg: «Die Schweiz ist nicht Hauptwohnsitz, wie es bei vielen in Zug Ansässigen der Fall ist, sondern mein zu Hause seit 27 Jahren. Und so begreife ich mich: als Schweizerin und Europäerin.»
Berg ist gegen einen EU-Beitritt der Schweiz
Obwohl sie nun im EU-Parlament sitzt, sieht sich Sibylle Berg nicht als EU-Turbo: Sie ist gegen einen EU-Beitritt der Schweiz und findet, die EU-Länder könnten viel von der Schweizer Demokratie lernen: «Selbstlos würde ich dafür kämpfen, dass Europa zur Schweiz wird.»
Sibylle Berg sieht sich als «Künstlerin und Aktivistin, nicht als Anwältin oder Berufspolitikerin». Die Satire-Partei «Die Partei» zeichne sich «durch intelligente Interventionen aus, durch Aufklärung und durch Klagen, die immer wieder gewonnen werden». «Das ist das, was man als Miniabordnung tun kann.»
Als politische Kernthemen nennt Sibylle Berg zwei Anliegen: Klassenkampf und Datenschutz: «Ich bin seit Jahren Datenschutzaktivistin und kann beobachten, wie alle Entscheidungen zur lückenlosen Überwachung und der De-facto-Kriminalisierung der Bevölkerung auch an der Grenze zur Schweiz nicht Halt machen. Das neuste Beispiel: die Fluggastdatenübermittlung an Polizeidienste.»
Satire aus Leidenschaft
Alle EU-Abgeordneten haben Anspruch auf ein Wahlkreisbüro. Wo Sibylle Berg dieses eröffnen wird, ist unklar. Laut dem Bundesinnenministerium muss das nicht zwingend in der EU sein. Sibylle Berg könnte ihr Parlamentsbüro also auch in Zürich eröffnen.
Berg lebt Satire durch und durch. Man weiss nie genau, was sie ernst meint und was nicht. Auf ihrer Website schreibt sie: «Sibylle Berg hat keine Hobbys, glaubt nicht an Systeme und Prinzipien, sie trinkt aus Prinzip nie, nimmt keine Drogen, isst kein Fleisch.»