Er ist ein international bekannter Schweizer Theaterregisseur, und er ist
St. Galler: Heute erhält Milo Rau den Grossen Kulturpreis seines Heimatkantons. Nun kündigt er an, das Preisgeld von 30’000 Franken «reinvestieren» zu wollen. «Um St. Gallen an seine spirituelle und aufklärerische Traditionen zu erinnern», sagt er zu Blick. Sein Investitionsobjekt: Schepenese, die bekannteste ägyptische Mumie der Schweiz, Teil des Unesco-Weltkulturerbes.
Diese ist in einem gläsernen Sarg in der Stiftsbibliothek in St. Gallen ausgestellt, wo rund 100’000 Besucher ein und aus gehen. Schultern und Kopf von ihr sind freigelegt. Das kritisiert Rau: «Das ist unwürdig für einen Leichnam.» Im alten Ägypten habe dies als Schändung gegolten. Er will das Geld für einen anderen Umgang mit der Mumie einsetzen. Und für deren Rückführung.
Mithilfe der Ägyptologin Monica Hanna lanciert er heute die sogenannte «St. Galler Erklärung» – ein Aufruf mit folgenden Forderungen: Es soll eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden, die die Möglichkeiten einer Rückführung von Schepenese bis Ende 2023 prüft. Bis dahin soll die Mumie nicht mehr entblösst ausgestellt werden. Und von jedem Eintritts-Ticket für die Stiftsbibliothek soll ein «Franken der Würde» in einen Schepenese-Fonds fliessen.
Aufruf ist breit abgestützt
100 Persönlichkeiten haben den Aufruf unterzeichnet. Darunter der SP-Ständerat Paul Rechsteiner (70), Schriftstellerinnen wie Sibylle Berg (60), Peter Stamm (59), Adolf Muschg (88), Kim de l’Horizon (30), Historiker wie Jakob Tanner (72) und Gesine Krüger (60) oder der Publizist Roger de Weck (69).
Monica Hanna, Dekanin des College of Archaeology and Cultural Heritage im ägyptischen Assuan, sagt: «Mit einer solchen Zurschaustellung wird die Mumie als Objekt und nicht als Mensch behandelt.» Vergessen gehe: Sie sei die Vorfahrin von möglicherweise mehreren Hundert Ägyptern.
Schepenese war die Tochter eines hohen Priesters, lebte vor rund 2600 Jahren im Gebiet des heutigen Luxor. Nach ihrem Tod bettete man sie dort zur Ruhe, wo heute vor genau 25 Jahren der Terroranschlag stattfand, bei dem 36 Schweizerinnen und Schweizer ums Leben kamen. 1820 kam sie nach St. Gallen. Erst in den Besitz des Landammanns der Stadt, Karl Müller von Friedberg (1755–1836), ganz legal. Dann 1936 in jenen des Katholischen Konfessionsteils, der Eigentümerin der Stiftsbibliothek.
Daran rüttelt der Aufruf nun. Milo Rau sagt: «St. Gallen und die Stiftsbibliothek müssen sich ihrer Verantwortung stellen.» Klar sei: Am Anfang stehe der Grabraub von Schepenese.
Raus Aktion schliesst an eine derzeit viel diskutierte Frage an: Wie sollen westliche Museen mit Kulturgütern aus ehemaligen Kolonialländern umgehen? Eine Möglichkeit zeigten die Vatikanischen Museen jüngst in Rom: Sie gaben drei antike Mumien an das Herkunftsland Peru zurück.
Der Stiftsbibliothekar winkt ab
Die Stiftsbibliothek nimmt gegenüber Blick Stellung. Der Stiftsbibliothekar Cornel Dora sagt: «Eine Restitution kommt nicht in Frage.» Wenn die ägyptische Regierung eine solche fordere, werde man darüber reden müssen. Laut dem Bundesamt für Kultur liegt derzeit keine solche Anfrage vor. Und Dora widerspricht Rau: Ob am Anfang ein Grabraub gestanden habe, könne man nicht mehr rekonstruieren. Zudem steht für ihn fest: «Schepenese wird nicht zur Schau gestellt, wir respektieren sie.» Deshalb gebe es eine Abschrankung vor dem Sarg.
Dora sagt, die Stiftsbibliothek sei offen für eine wissenschaftliche Debatte und für ein Gespräch mit Milo Rau. «Doch muss eine solche auf einer sachlichen Ebene geführt werden.»