Bald steht die Wintersaison vor der Tür. Und die Nation streitet über Bagger, die für den Skiweltcup in Zermatt auf dem Theodulgletscher die Piste präparieren. Medienberichten zufolge finden die Arbeiten ausserhalb des erlaubten Bereichs statt, den Organisatoren zufolge hingegen ist alles rechtens. Die Walliser Behörden haben einen teilweisen Stopp verhängt.
Skilegende Bernhard Russi (75) kennt das Business wie kaum ein zweiter; er war bis 2022 der prägende Pistenbauer des Weltverbandes FIS. Im Gespräch mit SonntagsBlick kritisiert er die Rennfahrerinnen – und sagt, was es seiner Meinung nach für Olympische Spiele in der Schweiz braucht.
SonntagsBlick: Die Schweiz streitet über Bagger, die für den Skiweltcup Zermatt den Gletscher bearbeiten. Sehen Sie angesichts der Klimaerwärmung in der Schweiz überhaupt noch eine Zukunft für den Wintersport?
Bernhard Russi: Ja – ich sehe eine Zukunft. Zunächst, ich habe in meinem Sportlerleben schon jede Situation erlebt: Zu viel Schnee, zu wenig Schnee, kein Schnee...
... also alles beim Alten?
Wobei ich betone, dass ich nicht an der Klimaerwärmung zweifle. Das ist statistisch festgehalten. Ich glaube, unsere Aufgabe besteht darin, dass wir besser machen, was wir in der Vergangenheit nicht gut gemacht haben. Zu Ihrer Frage will ich aber eine Gegenfrage stellen: Wie viel darf sich der Mensch an Unterhaltung erlauben?
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Was ist Ihre Antwort?
Mit Unterhaltung meine ich vom Open Air bis zur Eishockey- oder Fussballmeisterschaft, aber auch den Tourismus. Der Schweizer Tourismus findet sehr oft in der Bergen statt, wo es sonst nichts anderes gibt. Gerade in Andermatt sehe ich das konkret: Wir brauchen den Tourismus und Tourismus heisst automatisch eben auch Schneesport. Nicht nur Ski-, sondern Schneesport.
Jetzt gibt es Bilder von Baggern auf einem Gletscher bei Zermatt. Das Signal: Wir hobeln an der Natur für eine Abfahrtsstrecke. Laut Kritikern finden die Arbeiten auch ausserhalb des vereinbarten Perimeters statt, die Organisatoren widersprechen.
Ein Bagger auf einem Gletscher – das tönt nicht gut. Aber dieser Bagger hat ja nichts anderes gemacht, als Eis von der einen auf die andere Seite zu verschieben, wahrscheinlich um eine Gletscherspalte zu füllen um Gefahren zu kontrollieren. Wenn man einen Sturzraum sichern will, kann es auch sein, dass der Bagger dafür ausserhalb des Perimeters ist. Das ist dann eben nicht rechtens. Dort könnte mit herkömmlichen Mitteln wie mit B-Netzen das Problem gelöst werden.
Dennoch – die Bilder wirken auf viele Leute negativ.
Es gibt Regeln und Zonenpläne, die man strikt befolgen muss. Da gibt es kein Wenn und Aber. OK-Präsident Franz Julen ist wirklich bodenständiger, seriöser, ehrlicher Verantwortlicher. Ich gehöre nicht zu den Organisatoren des Weltcups und bin auch nicht vor Ort, aber aus meiner Erfahrung weiss ich: Wenn in einem Zonenplan in einem gewissen Massstab eine Linie eingezeichnet ist, kann das ganz heikel werden, wenn man zum Beispiel vom Massstab 1 zu 25'000 auf den Massstab 1 zu 1000 wechselt. Ein Strich, der bei 1 zu 25'000 eigentlich noch ganz am richtigen Ort war, kann in einer grösseren Skala oder vor Ort plötzlich leicht verschoben sein.
Der Skiweltcup wird im November starten. Stars wie Lara Gut-Berahmi oder Mikaela Shiffrin kritisieren das öffentlich und fordern, dass man diese Anlässe nach hinten verschiebt.
Der Start ist ja bereits zwei Wochen nach hinten verschoben worden. Und noch was: Die Fahrerinnen und Fahrer, also die Athleten, haben die grösste Kraft im internationalen Skibusiness. Sie sind mit Athletenvertretern in jedem Komittee dabei, auch mit Stimmrecht. Sie können auf alles reagieren, sie können überall alles vorschlagen.
Also hätten sich die Profis im Vornherein einbringen sollen?
Wenn sich nur zwei, drei zum Fenster hinauslehnen und das mit den anderen nicht absprechen, wird nichts passieren. Darum müssten Gut-Behrami, Shiffrin oder Gisin bei der Planung des Cup-Kalenders kommen und nicht erst Mitte Oktober. Die andere Möglichkeit wäre, konsequent zu sein und dann den Rennen fernzubleiben.
Wobei eine Skifahrerin dann wichtige Weltcuppunkte verlieren würde.
Dann könnte man zurückfragen: Was ist denn wichtiger? Hundert Punkte oder euer Umweltanliegen?
Die Debatte um Zermatt wirft auch ein Schlaglicht auf die Schweizer Olympia-Kandidatur 2030. Müssten die Initianten noch grüner werden?
Nein, ich nehme die Umweltanliegen der Initianten ernst. Ich finde es super, dass sie sich exponieren und die Kandidatur wagen wollen, das unterstütze ich – für mich gibt es aber noch eine Voraussetzung.
Welche?
Bis jetzt habe ich noch keinen Beweis gesehen, dass das IOC das Wort Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt. Mit Nachhaltigkeit meine ich, dass die internationalen Verbände, auf die das IOC immer wieder zurückgreift, nicht nur angehört sondern auch an Visionen binden würde. Das würde etwa bedeuten, dass man Eisschnelllauf auch ohne Halle durchführen könnte. Oder dass eine Disziplin halt nicht stattfindet, wenn es die wettermässigen Umstände nicht erlauben. Davon geht die Welt nicht unter. Das meine ich mit nachhaltig. Ich erwarte auch, dass das IOC Rücksicht darauf nimmt, dass in der Schweiz alles ein bisschen kleiner ist.
Sie wollen Spiele nach Schweizer Zuschnitt?
Das IOC könnte die Spiele in den Dimensionen herunterfahren. Zum Beispiel, indem die maximale Teilnehmerzahl reduziert wird. Wenn man zum Beispiel statt ca 10’000 nur 8000 Athleten holt. Oder statt 10’000 Journalisten nur 8000 Journalisten einfliegen lässt. Die Schweiz braucht massgeschneiderte Spiele. Das heisst für mich auch: Zurück zur Vernunft. In der Vergangenheit hat man bei den Olympischen Spiele immer mehr Disziplinen hinzugenommen, mit immer mehr Athleten und immer mehr Journalisten. Das muss angepasst werden.
Gibt es konkrete Disziplinen, bei denen man ansetzen kann?
Ich könnte mir vorstellen, dass auch der alpine Rennsport abspeckt. Braucht man die Kombi? Oder muss sie mit einem anderen Format ersetzt werden In den Nordischen Disziplinen kamen auf einmal die Sprintdisziplinen. Bald hat man auf jede Länge mehrere Disziplinen. Oder nehmen Sie Skispringen: Wieso brauchen wir zwei Schanzen? Das ist dasselbe, wie wenn wir zwei Abfahrten machen würden: Eine, die eine Minute dauert, und eine, die 1:40 dauert. Das meine ich damit: Nachhaltigkeit statt Gigantismus.