Rund um die Bundesratswahlen vom Mittwoch fiel auffällig oft der Name eines Politikers, der gar nicht kandidierte: der von Pierre-Yves Maillard (54), Waadtländer SP-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.
Ob es um eine Deutung der Kandidatinnenkür durch die Genossen ging oder um den überraschenden Sieg von Elisabeth Baume-Schneider (58) – irgendwann kam stets Maillard ins Spiel.
Das hat mit einer in Bundesbern gängigen Theorie zu tun, gemäss der es der Machtmensch Maillard eigentlich auf die Nachfolge von Bundesrat Alain Berset (50) abgesehen hatte.
Mit der Wahl der Jurassierin Baume-Schneider ist diese Option allerdings vom Tisch, da die Sozialdemokraten nun zwei Romands im Bundesrat stellen und bei der nächsten Vakanz wohl ein Deutschschweizer den Vorzug haben wird. Mit der Baslerin Eva Herzog (60) hingegen wäre bei Bersets Abgang die Bahn für einen welschen SP-Mann frei gewesen.
Diese Überlegung soll dem Vernehmen nach am 7. Dezember für nicht wenige Bürgerliche ein Motiv gewesen sein, der Jurassierin die Stimme zu geben.
Wie Pech und Schwefel
Denn Maillard polarisiert. Zwar gilt er auch bei seinen Gegnern als verlässlicher Bündnispartner und Verhandler, aber ebenso als Dogmatiker. Nirgends wird das sichtbarer als im Europadossier, wo die Gewerkschaften den Bund, das Parlament und die Wirtschaft seit Jahren vor sich hertreiben. Bei der Versenkung des Rahmenabkommens am 26. Mai 2021 spielte Maillard eine Schlüsselrolle.
Dennoch scheint die Maillard-Story nicht aufzugehen.
Sein Umfeld jedenfalls beteuert, dass er Baume-Schneider nicht nur gewählt, sondern aktiv für sie geweibelt habe. Beim Kongress des Gewerkschaftsbundes am 26. November in Interlaken BE habe man sogar wichtige Abstimmungen verschoben, damit es der Präsident rechtzeitig an die SP-Fraktionssitzung nach Bern schaffte, um Baume-Schneider aufs Ticket zu verhelfen. War also alles ganz anders?
Entscheidend ist das Verhältnis zwischen Maillard und Baume-Schneider. Die beiden sind befreundet und laut Weggefährten auch politisch wie Pech und Schwefel. Wie Maillard lebte Baume-Schneider eine Zeit lang in Lausanne VD, als Mitglieder in Westschweizer Kantonsregierungen pflegten sie auch beruflichen Austausch.
Symbol dieser Nähe ist eine schwarz-weisse Katze in Baume-Schneiders Haushalt: Sie stammt aus einem Wurf von Maillards Schosstier.
Welche Rolle wird Baume-Schneider einnehmen?
Das Resultat vom 7. Dezember scheint also eher die Pläne eines anderen prominenten Genossen durchkreuzt zu haben: Fraktionschef Roger Nordmann (49), der sich im Vorfeld auffällig stark für ein reines SP-Frauenticket engagiert hatte, muss mittelfristig auf eigene Bundesratsambitionen verzichten. Maillard hingegen hätte die Bundesversammlung ohnehin nie in die Regierung gewählt, sind manche Parlamentarier überzeugt.
Stattdessen hat der oberste Arbeitnehmer-Funktionär im Land nun mit Baume-Schneider einen wichtigen Trumpf in der Hand: Künftig kann er auf eine enge Vertrauensperson in der Exekutive zählen. Als Justizministerin wird die Neugewählte im dreiköpfigen Europaausschuss des Bundesrats sitzen. Für Maillard ist das ein Glücksfall – nicht aber für seinen Gegenspieler, Bundespräsident Ignazio Cassis (61).
Wie stark sich dessen europapolitisches Tätigkeitsfeld um den Gewerkschaftsboss dreht, lässt ein Gerücht erahnen, das derzeit unter Eingeweihten die Runde macht: Der Aussenminister habe jüngst seinen Regierungskollegen im informellen Rahmen anvertraut, dass Maillard mit dem Stand der Sondierungsgespräche in Brüssel zufrieden sei. Worauf die zwei Bundesräte der SP irritiert bei dem Gewerkschafter vorstellig geworden seien – und sich Cassis’ Aussage als Missverständnis entpuppt habe.
Im EDA kann man die Episode nicht bestätigen, Vizekanzler André Simonazzi bestreitet, dass es einen solchen Dialog in einer Bundesratssitzung gegeben habe. Die Episode ist allerdings ein Sinnbild dafür, wie delikat die Lage ist.
Politische Mitstreiter von Cassis streuten in den letzten Wochen eifrig Zuversicht über die Sondierungsgespräche mit der EU: In den wichtigsten Punkten habe Brüssel Entgegenkommen signalisiert.
Der Tessiner will Tempo machen und endlich ein Verhandlungsmandat der Regierung erhalten. Der Gewerkschaftsbund aber steht ihm auf die Bremse. Man sei «noch weit entfernt von einer Lösung», sagte Pierre-Yves Maillard am 27. November im SonntagsBlick.
Umso mehr dürfte seiner Vertrauten Elisabeth Baume-Schneider eine Schlüsselrolle zukommen. Sie könnte die Blockade verschärfen – oder als Vermittlerin zu einer Lösung beitragen.