«Bist du geistig behindert?» Mit diesen Worten beginnt ein Brief, den Gabi Schürch (48) aus Kirchberg BE vor einigen Wochen erhalten hat. Sie solle ihr «verlogenes Maul» halten, heisst es im handschriftlichen Schreiben. Und der anonyme Absender droht: «Dein Betrieb ist auf dem Radar.»
Schürch ist Biobäuerin und Vizepräsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands. Sie setzt sich für ein Nein zur Trinkwasser- und Pestizid-Initiative ein. Schreiben wie jenes, die Schürch erhalten hat, landen derzeit in den Briefkästen vieler Landwirtinnen und Landwirte. Vandalismus, Anfeindungen, Einschüchterungsversuche, ja gar Morddrohungen müssen Bauern derzeit hinnehmen. Der Abstimmungskampf um die beiden Initiativen ist eskaliert.
«Die Briefe haben mich verunsichert»
Auch wenn sie sich davon nicht abhalten lässt, sagt Bäuerin Schürch: «Die Briefe haben mich verunsichert und machen auch Angst.» Sie ist in der «Arena» und dem «Club» im Schweizer Fernsehen aufgetreten. Etwas, was sich andere angesichts der aufgeheizten Stimmung gar nicht mehr trauen. Die Suche nach einer Befürworterin oder einem Befürworter, der bereit ist, in der «Arena» aufzutreten, sei sehr schwierig gewesen, sagt Natalie Favre vom Initiativkomitee der Pestizid-Initiative. Viele sind eingeschüchtert und trauen sich nicht mehr, öffentlich ihre Meinung zu vertreten.
Nathalie G.* ist nur bereit, unter dem Schutz der Anonymität mit Blick zu sprechen. Nachdem sich die Westschweizer Imkerin in den sozialen Medien für die Pestizid-Initiative ausgesprochen hatte, forderte ein Bauer sie auf, das Bienenhaus von seinem Grundstück zu entfernen. «Er sagte mir, ich müsse entweder den Mund halten oder gehen. Nach langem Überlegen entschied ich mich zu gehen.» Als sie einige Tage später erneut ihre Meinung auf Facebook und Instagram kundtat, teilte ihr jemand anderes mit, dass sie ihren Honig nicht mehr verkaufen würden.
Kameras installiert aus Angst vor Pestizid-Spritzern
Sie hatte zwar noch nie Angst um ihre Sicherheit, doch die Atmosphäre sei angespannt und schwer zu ertragen. «Ich habe vor allem Angst um meine Bienen», sagt G. Eine «Ja»-Fahne traue sie sich nicht an einem ihrer Bienenhäuser aufzuhängen. «Ich will nicht, dass es zerstört wird», sagt sie.
Blick weiss auch von einem Bauern, der Kameras auf seinem Betrieb aufgestellt hat – weil er befürchtet, dass Initiativgegner heimlich Pestizide auf seine Felder spritzen und er seine Produkte dann nicht mehr als Bio verkaufen dürfte.
Morddrohungen gegen Ständerätin
Selbst Politikerinnen und Politiker, die sich öffentliche Auftritte und Reaktionen darauf gewöhnt sind, ziehen sich zurück. Grünen-Nationalrat Kilian Baumann hat wegen Drohungen – auch gegen seine Familie – sämtliche Auftritte abgesagt. Auch seine Parteikollegin und Ständerätin Céline Vara (36) aus Neuenburg hat Morddrohungen erhalten und steht deshalb unter Polizeischutz. Aus Sorge um ihre Sicherheit und jene ihrer Familie wolle sie sich nicht mehr öffentlich zum Thema äussern, sagt sie auf Anfrage.
Während Bäuerinnen und Bauern, die sich für die Initiativen starkmachen, vor allem vom eigenen Berufsstand ins Visier genommen werden, erlebt das gegnerische Lager meist Anfeindungen vonseiten der Konsumentinnen und Konsumenten.
«So etwas habe ich noch nie erlebt»
Stefan Krähenbühl (43), der in Greng FR bauert, hat vergangene Woche ein Jogger den Mittelfinger gezeigt, als er auf dem Kartoffelacker Pflanzenschutzmittel ausbrachte. Einige Tage später hupte ein Autofahrer und machte dieselbe Geste – dabei war Krähenbühl gerade daran, homöopathische Mittel zu spritzen. «Viele Menschen sind sehr voreingenommen. Es wäre schön, sie würden einmal mit mir reden», sagt der Biobauer. Auch er hat schon hässige Schreiben und auch anonyme Anrufe bekommen. «Jemand hat mir gesagt, meine Daseinsberechtigung sei vorbei», erzählt er.
Krähenbühl sagt, was er in den vergangenen Wochen an Aggression gegenüber ihm als Bauern erlebt habe, sei einmalig. Auch Walter Maurer (61) aus Kölliken AG – ebenfalls Biobauer, aber für die Initiativen – stellt das fest. «Die Nerven liegen blank», sagt er. «Wenn man mit Bauern diskutiert, werden sie sehr schnell aggressiv.» Erklären tut er sich das damit, dass viele Bauern grosse Angst um ihre Existenz haben. «Es gab schon andere Initiativen, bei denen es hart zur Sache ging. So etwas habe ich aber noch nie erlebt.»
Froh, wenn 13. Juni vorüber ist
Es sind beide Seiten, die sich als Opfer sehen. Und auf beiden Seiten gibt es Täter. Den Frauen und Männern, mit denen Blick gesprochen hat, geht es aber auch weniger darum, einen Schuldigen zu finden, als die Eskalation – egal von wo sie kommt – zu verurteilen. «Die Meinungsfreiheit muss man ohne Angst ausleben können. Wenn wir das in der Schweiz nicht mehr können, dann heitere Fahne!», sagt Biobauer Maurer.
Viele Bäuerinnen und Bauern sind froh, wenn der 13. Juni vorüber ist. Sie machen sich aber auch Gedanken darüber, was nachher ist. «Ich würde mir wünschen, dass es gelingt, trotz der emotional belastenden Zeit zusammen an einen Tisch zu sitzen», sagt Bäuerin Schürch. «Denn für mich geht es nur gemeinsam vorwärts.»
*Name geändert
Mit der Trinkwasser- und der Pestizid-Initiative stimmt die Schweiz am 13. Juni über zwei Vorlagen ab, die sich thematisch sehr ähnlich sind.
Hinter der Trinkwasser-Initiative steht Fitnesstrainerin Franziska Herren (54). Sie will unter anderem, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide verwenden. Landwirte dürfen zudem nur so viele Tiere halten, wie sie mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Betrieb produziert wird.
Die Pestizid-Initiative, die von einem Bürgerkomitee aus der Westschweiz eingereicht wurde, ist noch extremer und will ein komplettes Verbot synthetischer Pestizide – nicht nur für die Landwirtschaft. Es sollen auch keine Güter mehr importiert werden dürfen, bei deren Herstellung Pestizide zum Einsatz kamen.
Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ab.
Mit der Trinkwasser- und der Pestizid-Initiative stimmt die Schweiz am 13. Juni über zwei Vorlagen ab, die sich thematisch sehr ähnlich sind.
Hinter der Trinkwasser-Initiative steht Fitnesstrainerin Franziska Herren (54). Sie will unter anderem, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide verwenden. Landwirte dürfen zudem nur so viele Tiere halten, wie sie mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Betrieb produziert wird.
Die Pestizid-Initiative, die von einem Bürgerkomitee aus der Westschweiz eingereicht wurde, ist noch extremer und will ein komplettes Verbot synthetischer Pestizide – nicht nur für die Landwirtschaft. Es sollen auch keine Güter mehr importiert werden dürfen, bei deren Herstellung Pestizide zum Einsatz kamen.
Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ab.