Bauern und Linke warnen
Gefahr für Steuerzahler, wenn Selbständige scheitern?

Müssen Uber-Mitarbeitende angestellt sein oder sollen sie selbständig geschäften? Eine Gesetzesänderung stösst auf Widerstand. Während Bürgerliche die wirtschaftliche Entwicklung fördern wollen, warnen Linke, Kantone und Bauernverband vor Risiken und Schwarzarbeit.
Publiziert: 12.02.2025 um 18:05 Uhr
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Sind Arbeitskräfte auf Onlineplattformen angestellt oder selbständig erwerbend? Diese Frage beschäftigt die Justiz und die Wirtschaft.
Foto: imago images/Panthermedia

Auf einen Blick

  • Debatte über Arbeitsbedingungen entbrannt
  • GLP-Präsident Jürg Grossen fordert Änderung der Regeln für Selbständigkeit
  • Bisher warnte die SP vor Änderung, jetzt bekommt sie Schützenhilfe von Bauern, Baumeistern und der Wissenschaft
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sophie ReinhardtRedaktorin Politik

Ob man schnell eine Reinigungskraft über eine App engagiert oder spät in der Nacht eine Fahrgelegenheit online bestellt, um sicher nach Hause zu kommen – das ist heute dank der sogenannten Plattformökonomie in der Schweiz einfach möglich. 

Firmen wie Uber sehen sich dabei lediglich als Vermittler von Taxifahrten und Restaurantbestellungen. Die Unternehmen beharrten gerne darauf, dass sie für Sozialabgaben, Ferienkompensationen oder Zuschüsse für Autos und Velos der Fahrerinnen oder Essenskuriere nicht zuständig seien, weil diese selbständig arbeiteten. Das Bundesgericht hielt 2023 jedoch fest: Uber-Fahrer sind in Genf nicht selbständig. Deshalb muss das Unternehmen AHV-Beiträge für sie entrichten.

Das rasante Wachstum der Plattformarbeit und die damit verbundenen Herausforderungen haben inzwischen auch die Politik auf den Plan gerufen. Wer künftig als selbständig gelten darf, wird zunehmend zur Streitfrage – auch in der Schweiz. Mit einem Vorstoss forderte GLP-Präsident Jürg Grossen (55) eine Änderung der bestehenden Regeln.

Entspricht gesellschaftlichem Bedürfnis

Der GLP-Präsident betont, die neuen Arbeitsverhältnisse hätten Zukunft und entsprächen einem gesellschaftlichen Bedürfnis. Er kritisiert die gegenwärtige Rechtslage, die Erwerbstätige grundsätzlich oder im Zweifelsfall als Angestellte klassifiziere. Dies hemme die wirtschaftliche Entwicklung. «Die Schweizer Behörden aberkennen jedes Jahr Tausenden von Betroffenen gegen ihren Willen den Wunsch nach Selbständigkeit.» Er möchte, dass künftig Selbstdeklarationen mehr Gewicht erhalten, wenn sich jemand als selbständig anmeldet. 

Eine Mehrheit im Parlament folgte dieser Argumentation. 2022 fand der GLP-Vorstoss eine Mehrheit im Nationalrat, 2023 im Ständerat. Die Bürgerlichen im Parlament sprachen davon, dass zum Beispiel auch Psychologen, Ärztinnen oder die Hotellerie davon profitieren würden, wenn diese ihre Dienste einfacher über Webseiten oder Apps anbieten können. 

Zürich befürchtet Schwarzarbeit

Im Parlament warnten die Linken vergeblich vor dieser Regelung. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (37) sagt: «Das öffnet Tür und Tor, dass das unternehmerische Risiko auf Einzelpersonen abgewälzt wird.» Am Schluss müsse dann der Steuerzahler einspringen, wenn die Beschäftigten nicht vom Einkommen leben könnten, führt sie gegenüber Blick aus. 

Auf Rückfrage von Blick hält Grossen dagegen: Um Missbrauch zu verhindern, könne man zum Beispiel Plattformfirmen verpflichten, Daten und Informationen über diese Selbständigen mit den Behörden zu teilen oder den Selbständigen einen vereinfachten Zugang zu den Sozialversicherungen garantieren.

Ein Blick in die Vernehmlassung zeigt, die grosse Mehrheit der Kantone ist ebenfalls nicht überzeugt vom Vorschlag. So schreibt etwa die Zürcher Regierungspräsidentin Natalie Rickli (48), es entstünde mit den vorgeschlagenen Änderungen «die Gefahr von vermehrter Schwarzarbeit, weil bei rechtsunkundigen Plattformarbeitenden das Wissen über die Rechte und Pflichten von Selbständigerwerbenden oft fehlen dürfte».

Baumeister, Bauern und SP einer Meinung

Am Donnerstag befasst sich die Sozialkommission des Nationalrats erneut mit Grossens Vorschlag. SP-Co-Präsidentin Meyer fordert, das Vorhaben ohne Alternative zu versenken.

Nun erhält sie überraschende Unterstützung: Martin Rufer (48), Direktor des Schweizer Bauernverbands, hat einen Brief an die Parlamentarier der Kommission verfasst. Darin kritisiert er die geplanten Anpassungen als «den falschen Weg», der nicht das Unternehmertum fördere. «Wenn in die Selbständigkeit gedrängte Personen nicht genügend Einkommen erzielen und ihnen eine soziale Absicherung fehlt, müssen Gemeinden und Kantone einspringen – über die Sozialhilfe und später über Ergänzungsleistungen zur AHV», heisst es in dem Brief. 

Unterzeichnet haben ihn auch Nicole Brändle (44), Direktorin von Hotellerie Suisse, sowie Bernhard Salzmann (44), Direktor des Schweizerischen Baumeisterverbands, und weitere Verbandsbosse. Sie warnen zudem, dass bei einer allfälligen Abstimmung die vorgeschlagene Regelung keine Aussicht auf Erfolg verspreche.

«Vorlage bildet Realität ab»

In einem weiteren Schreiben melden sich zudem über zehn Schweizer Rechtsprofessoren und warnen vor Scheinverträgen und Scheinselbständigkeit als Folge. Sie befürchten, dass sich mit der von Grossen geforderten Klausel Arbeitgeber aus der Verantwortung ziehen könnten. 

Lassen sich die bürgerlichen Parlamentarier in der Sozialkommission von der erhaltenen Post beeindrucken? Es deutet wenig darauf hin. «Die Vorlage bildet lediglich die ökonomische und gesellschaftliche Realität ab, sie schafft keine neuen Prekariate», sagt FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt (30). Taxifahrer beispielsweise arbeiteten seit Jahrzehnten als Selbständige. Es mute «etwas absurd an, wenn diese Revision, die Schwarzarbeit reduzieren wird, mit Prekarisierungs-Argumenten» bekämpft, sagt er gegenüber Blick.

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