Ausgerechnet der konservative Gerhard Pfister (58) baut die CVP um
Vom «Pfarrer» zum C-Abschaffer

Am Dienstag stellt die CVP die Ergebnisse ihrer Urnenabstimmung vor. Das C dürfte der Vergangenheit angehören. Ausgelöst hat dies ausgerechnet der konservative Gerhard Pfister. Im BLICK erklärt der CVP-Präsident, wie es dazu kam.
Publiziert: 26.10.2020 um 23:37 Uhr
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Aktualisiert: 27.10.2020 um 07:15 Uhr
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Gerhard Pfister sagt: «Die Orange ist ausgepresst.»
Foto: Philippe Rossier
Sermîn Faki

Ab Dienstag geht es dem C an den Kragen. Dann stellt die CVP die Ergebnisse ihrer grossen Urabstimmung vor. Wollen die Mitglieder das C loswerden? Und mit der BDP fusionieren?

Beides gilt als wahrscheinlich. Beides würde das Gesicht der 108 Jahre alten Traditionspartei für immer verändern. Dass Präsident Gerhard Pfister (58) diese Operation durchführt, erstaunt. Ausgerechnet der einst rechteste CVPler, Aushängeschild des wertkonservativen, wirtschaftsliberalen Flügels.

Noch erstaunlicher: Als Pfister 2016 zum CVP-Chef gewählt wurde, machte er sich in die andere Richtung auf. Er wollte weg vom Mal-links-mal-rechts-Wischiwaschi, das die Partei auszeichnete, hin zu einer konservativen Wertepartei. Und jetzt will er «Die Mitte» gründen. Höchste Zeit, nachzufragen.

Herr Pfister, was ist da passiert?
Gerhard Pfister: Schon 2017 hatte ich eine sehr genaue Vorstellung davon, wohin sich die CVP bewegen muss – und an der halte ich fest. Zwei Dinge sind wichtig: Profil stärken, Strukturen stärken. Das versuche ich. Aber ich weiss schon, woher Ihre Frage kommt: Ausgerechnet der konservative Pfister will die Partei öffnen.

Stimmts denn nicht? Auch Sie haben doch den Kurs früher als zu links empfunden.
Als Parteipräsident ist es meine Aufgabe, den Kurs der Partei zu vertreten. Ich hatte keine Mühe mit dem Rollenwechsel. Jeder Präsident, der seine Rolle richtig interpretiert, rückt ins Zentrum des politischen Spektrums seiner Partei. Das war bei Levrat und ist bei Gössi nicht anders als bei mir. Als ich das Präsidium übernahm, war mir bewusst, dass mein Image bei Teilen der Basis Skepsis auslöst.

Und die schürte er zunächst noch. 40 Tage nach seiner Wahl forderte er im BLICK: «Schluss mit falscher Toleranz.» Die Schweiz müsse wieder dazu stehen, ein christliches Land zu sein. Er wollte eine Wertediskussion im Land lancieren, aufgehängt an einem Islam-Papier. Ausserhalb der CVP-Stammlande kam das gar nicht gut an. So wenig es wie heute die C-Diskussion im Oberwallis tut.

«Wo warst du?»

«Ich gebe zu, dass die Wertediskussion die Partei durchgeschüttelt hat», sagt Pfister heute. «Und, dass ich mir damals allein vorgekommen bin. Daher sage ich jetzt immer denen, die das C behalten wollen: Wo warst du, als BLICK vom ‹Pfarrer Pfister› geschrieben hat? Nirgendwo!» Doch es gehöre zu seinen Aufgaben, kontroverse Debatten zu lancieren – um die politische Mitte inhaltlich zu profilieren.

Inhaltlich setzte sich Pfister nicht durch. Das Islam-Papier entpuppte sich als Papier-Tigerli. Wäre es mit mehr Unterstützung schärfer herausgekommen? Hätte die CVP den konservativen Kurs eingeschlagen? «Ich denke nicht», sagt Pfister. Das Islam-Papier sei er falsch angegangen: «Ich hätte weniger auf die Religion als vielmehr auf unseren Rechtsstaat und seine wichtige Rolle für unsere Gesellschaft abzielen müssen.»

So sei ihm «zu Unrecht» ein Kreuzzug zur Rekatholisierung der Welt vorgeworfen worden. «Religion ist aber Privatsache – bis zu dem Punkt, wo sie als Ideologie benutzt wird, um gegen unseren Rechtsstaat vorzugehen. Dagegen wehre ich mich auch weiterhin.»

Die Entdeckung des sozialen Bürgertums

Mit der Wertepartei wurde es also nichts. Und nun? Pfister liess eine Studie erstellen, was die Mitglieder und was die Wähler von der CVP erwarten. Ergebnis: eine bürgerliche Politik mit sozialem Anstrich. Lösungen bei den Gesundheitskosten, bei der Reform der Altersvorsorge. Und genau so positionierte sich die CVP im Hinblick auf die Wahlen 2019. Als «bürgerlich-soziale» Kraft, «die das Land zusammenhält». Sie reichte etwa die Kostenbremse-Initiative ein, die Massnahmen verlangt, wenn die Gesundheitskosten weiter steigen. Bleibt die Frage:

Wie verwandelt man das in Wähleranteile? Die BDP ist daran gescheitert.
Ich bin überzeugt, dass mehr und mehr Wähler die Polarisierung als Problem empfinden. Die Mitte ist darum je länger desto mehr politischer Inhalt. Nur eine starke politische Mitte sichert den Zusammenhalt der Schweiz. Wir haben den Anspruch, die führende Mittepartei zu bleiben, für die Freiheit, Solidarität und Verantwortung wichtige Werte sind.

Und nach jedem Kompromiss zu sagen, dass die CVP wieder das Land gerettet hat?
Nein! In den Themen, für die wir stehen, müssen wir die Richtung vorgeben. Man kann in der Mitte nicht warten, bis man weiss, was links und rechts machen. Der letzte Abstimmungssonntag war eine Bestätigung für diesen Weg: die Partei als Mittepartei zu positionieren.

Ob das aufgeht? Bei den Wahlen 2019 verlor die CVP 0,2 Prozent. Was allerdings weniger war als alle anderen Bundesratsparteien. Ein Erfolg, wie Pfister selbst sagt. Seitdem er wählen könne, habe seine Partei praktisch immer nur verloren. «Deshalb bekommen Sie als CVP-Präsident heute schon stehende Ovationen, wenn Sie nur 0,2 Prozent verlieren.»

«Die Orange ist ausgepresst»

Mit besserer Mobilisierung kann die CVP nichts mehr holen, zeigt die Analyse. Sie hat ihre Wähler besser an die Urnen gebracht als jede andere Partei – und dennoch verloren. Pfisters Schluss: «Die Orange ist ausgepresst.» Ein Problem: 81 Prozent der CVP-Wähler haben zumindest einen Elternteil, der CVP wählte. «Der wichtigste Grund, CVP zu wählen, ist, dass man das schon immer gemacht hat», konstatiert Pfister. «Das reicht nicht mehr.»

Wie also gewinnen Sie Wähler?
Wir müssen von einer Milieupartei zu einer Ideenpartei werden. Blocher hat das mit der SVP Anfang der 90er-Jahre vorgemacht – damals sehr erfolgreich.

Von Blocher lernen heisst siegen lernen?
Die Wahlen 2019 haben für mich eine Erkenntnis gebracht: Wenn wir nichts machen, dann sind wir in acht Jahren nicht mehr im Bundesrat. 2023 müssen wir Wähleranteile gewinnen.

Und was machen Sie mit den hässigen Oberwallisern, die am C festhalten wollen?
Hässig sind die nicht, sie machen einfach klare Aussagen. Und ich verstehe ihre Ablehnung durchaus. Nur ist das Oberwallis nicht die ganze Schweiz. Und ich bin verantwortlich dafür, dass die CVP Schweiz vorwärtskommt. Auf lange Sicht wird auch der Oberwalliser CVPler davon profitieren, dass er weiterhin Mitglied einer Bundesratspartei ist.


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