Das hat in der Schweiz einiges Stirnrunzeln ausgelöst. Ausgerechnet am Tag der russischen Mobilmachung trifft der Schweizer Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis (61) den russischen Aussenminister Sergei Lawrow (72) in New York.
Am Rande der Uno-Generalversammlung sprach Cassis mit Lawrow über ein Schutzmachtmandat für ukrainische Bürger in Russland, das die Schweiz auf Wunsch der Ukraine erarbeitet hat. Nach dem Treffen wurde aber nichts Neues dazu bekannt.
Cassis hatte im Vorfeld angekündigt, «die jüngsten Provokationen von Präsident Putin» anzusprechen und die nukleare Drohung zu verurteilen. «Ich werde Aussenminister Lawrow auffordern, auf eine weitere Eskalation in diesem schlimmen Krieg zu verzichten und die russischen Truppen sofort abzuziehen», so der Bundespräsident am Mittwoch an einer Medienkonferenz.
Russland nutzt Bild zu Propagandazwecken
Doch Lawrow macht daraus etwas anders: Ein Bild, das vom russischen Aussenministerium auf Twitter verbreitet wurde, zeigt die beiden händeschüttelnd in die Kamera lächelnd.
Am Tag, als Putin 300'000 Bürger in den Angriffskrieg gegen die Ukraine zwingt, kann Russland – daheim und in der Welt – so den Eindruck erwecken, als sei es noch Teil der Welt- und Wertegemeinschaft.
Geharnischte Reaktionen in der Schweiz
In den sozialen Medien löste Cassis’ Auftritt zum Teil geharnischte Reaktionen aus. Deutliche Worte kommen etwa von Ex-Nationalrat Bernhard Guhl (50, Mitte): «Unser Bundespräsident gibt einem russischen Kriegsverbrecher die Hand. Aber in die Ukraine reiste er nicht. Ich glaubs nicht ...», spart er nicht mit Kritik.
Deutlich wird auch Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (44). «Ich begrüsse, dass die Schweiz mit allen Kriegsparteien das Gespräch sucht - aber es ist für mich unverständlich, dass man sich mit einem gemeinsamen Bild von der russischen Propagandamaschinerie missbrauchen lässt», stellt er klar. «Das zeigt wieder einmal, dass im Aussendepartement das nötige Fingerspitzengefühl fehlt.»
«Ein Foto davon ist unglücklich ...»
Glücklich über den Auftritt wirkt auch Cassis’ Parteipräsident Thierry Burkart (47) nicht. Wie es seine Aufgabe ist, stellt er sich aber schützend vor seinen Bundesrat. «Wollen wir unsere guten Dienste anbieten? Dann muss man mit Aussenminister Lawrow sprechen, und dann gehört ein Handshake dazu», sagt der FDP-Chef. «Ein Foto davon ist unglücklich, lässt sich aber manchmal nicht verhindern.»
Allerdings: Ansonsten liess sich kein Staatsoberhaupt oder Aussenminister einer westlichen Demokratie mit Lawrow abbilden. Neben Peter Maurer (65), der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, der im Sinne des Auftrags der Organisation immer auch mit Schergen und Autokraten redet, traf Lawrow gemäss Twitter und Bildern der internationalen Fotoagenturen an diesem Mittwoch noch den venezolanischen Aussenminister Carlos Faría Tortosa (59), Faustin-Archange Touadéra (65), Präsident der Zentralafrikanischen Republik, sowie den armenischen Aussenminister Ararat Mirzoyan (42) und den bolivianischen Aussenminister Rogelio Mayta (51).
Andere Parteien haben denn auch wenig Verständnis für den Auftritt des Bundespräsidenten: Am Rande solcher Versammlungen Gespräche mit allen möglichen Parteien zu führen, entspreche zwar den Gepflogenheiten und diene den guten Diensten der Schweiz, findet GLP-Präsident Jürg Grossen (53). «Sich jedoch mit dem Vertreter eines Kriegsagressors händeschüttelnd und lächelnd ablichten zu lassen, ist ein Fauxpas, der zurecht zu Irritationen führt.»
EDA sieht kein Problem
Das Aussendepartement (EDA) erklärt dazu: «Beim Treffen mit dem russischen Aussenminister Lawrow waren zu Anfang mehrere Bildjournalisten anwesend. Selbstverständlich existieren davon Bilder – wie von allen Treffen des Bundespräsidenten in New York. An der Uno sind Medien zu Beginn aller Treffen zugelassen.»
Selbst wenn es angesichts der neuen Eskalation wohl zahlreiche bilaterale Treffen gegeben hat: Kein anderer Vertreter einer westlichen Demokratie hat sich bislang dazu verleiten lassen, dem Aggressor Russland diese Bühne zu bereiten.