War die Einladung zu heikel?
Cassis schwänzte Israel-Feier

Der Bundespräsident wollte nicht an den Zionistenkongress in Basel, wo Israels Präsident auftrat. Vize Alain Berset auch nicht. Schliesslich schickte die Regierung Guy Parmelin.
Publiziert: 03.09.2022 um 19:54 Uhr
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Aktualisiert: 03.09.2022 um 20:22 Uhr
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Kein Trip nach Basel: Bundespräsident Ignazio Cassis (vorne, hinten Guy Parmelin und Karin Keller-Sutter).
Foto: keystone-sda.ch
Reza Rafi

Nach wenigen Minuten ging ein Raunen durch den Musiksaal des Stadtcasinos. Vor der versammelten Festgemeinde, die das 125-Jahr-Jubiläum des ersten Zionistenkongresses feierte, redete Guy Parmelin (62) plötzlich vom Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und der Zweistaatenlösung, ohne die es keinen «gerechten und dauerhaften» Frieden im Heiligen Land gebe.

Die Szene spielte sich am vergangenen Montag in Basel ab; der Wirtschaftsminister trat an der Gala auf, an der das denkwürdige Ereignis gefeiert wurde, das als Grundsteinlegung des Staates Israel in die Geschichte einging.

Gewiss wurden Parmelins Worte auch beklatscht, das sollte hier fairerweise erwähnt sein, und schliesslich vertrat der Waadtländer nichts anderes als die offizielle Haltung des Bundes. Manch einer der Gäste fragte sich allerdings, ob dies wirklich der passende Rahmen und der richtige Zeitpunkt ist, um auf eine in Israel höchst umstrittene Politik im Konflikt mit den Arabern hinzuweisen. Vor allem aber wurde gerätselt, wieso die Eidgenossenschaft ausgerechnet den WBF-Vorsteher nach Basel schickte. Immerhin kam von israelischer Seite Staatspräsident Jitzchak Herzog (61), gemäss diplomatischem Protokoll das Pendant zu Bundespräsident Ignazio Cassis (61).

Tatsächlich hatte der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), einer der Co-Gastgeber des Anlasses, den Bundespräsidenten eingeladen. SIG-Präsident Ralph Lewin (69) selber machte die Einladung an einer Medienkonferenz im Juni publik.

Auch Berset sagte ab

Die jüdische Charmeoffensive muss in der Landesregierung einen Eiertanz ausgelöst haben. Cassis wollte nicht. Womit der Ball beim Vizebundespräsidenten Alain Berset (50) liegen würde. Doch auch Berset wollte nicht.

Schliesslich zeigte sich Parmelin bereit. Bei seiner Aufwartung befand sich auch eine Reihe von EDA-Leuten im Schlepptau, und die Rede soll nach SonntagsBlick-Informationen sowieso zu einem guten Teil aus der Küche des Aussendepartements stammen. Die Ansprache enthielt auch Bemerkenswertes, das man nicht oft von Schweizer Magistraten hört, etwa die Feststellung des Jüdischen als Teil der Schweiz und der Schweizer Geschichte oder der Hinweis auf die dunklen Kapitel. «Ohne jüdische Gemeinschaft wäre ein Teil von uns weg», sagte Parmelin. Bei dessen Departement bestätigt man, dass die Rede «mit dem EDA abgestimmt» gewesen sei.

Bleibt die Frage, wie der Bundespräsident sein Fernbleiben begründet. Logistisch wäre der Abstecher nach Basel wohl kein Problem gewesen.

Sicher ist: Israel ist trotz des Tauwetters mit der arabischen Welt nach wie vor ein emotional und politisch hoch aufgeladenes Thema. Dazu gilt Cassis’ Aussenpolitik in den Augen seiner Kritiker als sprunghaft, zuweilen erratisch, getrieben von der Angst, eine Seite vor den Kopf zu stossen. Das zeigte sich bei seiner Europapolitik, bei der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit und, eben, im Nahostkurs.

Möglichst neutral wirken

2018 fiel Cassis mit seiner Attacke gegen das Uno-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) in linken Kreisen und in islamischen Ländern über Nacht in Ungnade.

Ging es ihm mit seiner Absenz in Basel womöglich darum, das Etikett des Israel-Freundes etwas nach hinten zu rücken? Man steht vor dem Einzug in den Uno-Sicherheitsrat, eines der grossen Kernanliegen des Aussenministers. Da wäre es für die kleine neutrale Schweiz bequem, möglichst konturlos im Gremium einzusitzen.

Bei Cassis’ Departement werden derlei Motive vehement bestritten. Man betont, dass der Bundespräsident den israelischen Präsidenten mit militärischen Ehren in der Residenz Lohn bei Bern empfangen habe – und anschliessend sei eine Absichtserklärung zur Stärkung der bilateralen Zusammenarbeit unterzeichnet worden.

Und wieso ging ausgerechnet der Wirtschaftsminister? O-Ton Medienstelle: «Guy Parmelin und seine Ehefrau hatten den israelischen Präsidenten und dessen Ehefrau bereits im vergangenen Oktober anlässlich eines Besuchs in Israel getroffen.» Der WBF-Vorsteher schritt also nach Basel, weil man sich schon kennt.

Präsident Herzog habe den Entscheid seines Schweizer Amtskollegen übrigens souverän genommen.

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