So reagiert der Instagram-Politiker auf Beleidigungen
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Flavien Gousset (24):So reagiert der Instagram-Politiker auf Beleidigungen

Am Küchentisch mit einem Idealisten
Flavien Gousset (24) macht Politik auf Instagram

Der Zürcher Flavien Gousset bringt auf Instagram jungen Menschen Politik näher – und er will die Welt verändern. Eine Annäherung.
Publiziert: 13.06.2021 um 11:42 Uhr
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Aktualisiert: 13.06.2021 um 12:56 Uhr
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Flavien Gousset (24) in Zürich Wiedikon, seinem Wohnort.
Foto: Nathalie Taiana
Dana Liechti

Reden kann er. Wenn Flavien Gousset (24) erzählt, hängen ihm die Menschen an den Lippen. Er spricht mit fester Stimme, wählt seine Worte mit Bedacht.

Manchmal sprudeln sie aber auch einfach aus ihm heraus, dann verwirft er beim Argumentieren die Hände, sprühen die Funken aus seinen eisblauen Augen. Gerade wenn es um seine grosse Leidenschaft geht, die Politik. Für sie will er auch andere begeistern. Vor allem junge Menschen.

«Weisch, was macht mich hässig?»

Seit August 2020 veröffentlicht er vor jeder nationalen Abstimmung Videos auf Instagram, in denen er die jeweiligen Vorlagen möglichst einfach erläutert, Argumente der Befürworter und der Gegnerinnen aufzeigt und seine eigene, linke Position verdeutlicht. Mittlerweile haben seine Videos teilweise über 50 000 Aufrufe.

Goussets Konzept: Er filmt sich dabei, wie er in der kleinen Küche seiner Wohngemeinschaft in einem Altbau-Dachgeschoss in Zürich Wiedikon sitzt und zwei Tassen Kaffee vor sich auf den hölzernen Tisch stellt – als wäre man bei ihm zu Gast. Dann beginnt er zu reden. «Häsch gwüsst, ...?», fragt er, oder «Weisch, was macht mich hässig?»

Jeweils kurz vor den Abstimmungen erklärt er zusammen mit der Aktivistin Anna Rosenwasser in einem Live-Video zudem Schritt für Schritt, wie Abstimmen geht: Welcher Zettel muss in welches Couvert? Wo muss ich unterschreiben?

Welt ist zu ungerecht

Eigentlich will Gousset – aufgewachsen in Biel BE und Stäfa ZH mit einer jüngeren Schwester bei einem alleinerziehenden Mami – nichts Geringeres als die Welt retten. Denn die sei tiefgreifend ungerecht, ja, kaputt. Es ist eine lange Liste von Missständen, mit der er diese Sichtweise begründet. Dass die einen Menschen sogar in der Krise noch Millionen machen, während andere – auch ohne Pandemie – an Hunger sterben. Schweizer Waffen im Krieg, Menschen, die auf der Flucht davor sterben. Die Klimakrise. Schlecht oder gar nicht bezahlte Arbeit ...

«Schon als Jugendlicher ist mir nicht in den Kopf gegangen, wie das sein kann. Die soziale Ungleichheit hat mich politisiert.» Gousset trat der SP bei, kandidierte 2019 als Nationalrat, arbeitet heute als Campaigner. Und dreht in seiner Freizeit die Erklärvideos. «Ich glaube, mein Engagement auf Instagram ist für mich auch eine Art, mit den überfordernden Ungerechtigkeiten dieser Welt zurecht zu kommen», sagt er.

Junge Menschen finden durch seine Videos Zugang zur Politik

Also liest er sich oft stundenlang in die Abstimmungsvorlagen ein. Filmt, schneidet und untertitelt zusammen mit seiner Freundin Yara (23) die Videos. Beantwortet viele Fragen. Manchmal, da falle es ihm schwer, Pausen zu machen, «während die Welt doch brennt», sagt Gousset und fährt sich durch die langen Locken. «Aber dann denke ich: Pause machen in einer Gesellschaft, die dich pausenlos leisten sehen will, hat auch etwas Revolutionäres.» Darum habe er am Ende dann trotzdem kein Problem, nach Frankreich zu fahren und dort den lieben langen Tag Petanque zu spielen, Pastis zu trinken und zu lesen – «ich bin ja dann immer noch der gleiche, politische Flavien wie jetzt.»

Sein Instagramauftritt jedenfalls kommt gut an. «Du machst das imfall super – meine Tochter schaut deine Videos immer», sagt eine Passantin zu ihm, als er in der Nähe seiner Wohnung auf einer Bank sitzt, ein Glacé in der Hand und nachhaltige Sneakers an den Füssen. Das Schönste, sagt der Netzaktivist, sei, wenn ihm Leute sagen, sie hätten durch seine Videos endlich einen Zugang zu Politik gefunden und zum Beispiel zum ersten Mal abgestimmt.

Verletzende Nachrichten treffen ihn auch

«Der Durchschnittswähler ist etwa 58 Jahre alt – dabei sind es die Jungen, die am längsten mit den Entscheiden werden leben müssen, die wir jetzt fällen.» 85 Prozent von Goussets Followerinnen und Followern sind zwischen 18 und 34 Jahre alt.

Manchmal sieht er sich auch mit Kritik konfrontiert. Gerade bei den Videos zu den Pestizidinitiativen und dem Covid-Gesetz habe er einige böse Nachrichten bekommen: Er sei ein Sauhund, mache das eigene Land kaputt. «Sowas passiert im Internet halt», sagt er. Aber es komme schon vor, dass ihn so eine Nachricht auch verletze. «Dann suche ich den Dialog.»

Natürlich sei es nur gesund, dass es verschiedene Haltungen gebe, sagt Gousset. Trotzdem: Das Papier von Corona-Skeptikern, das in seinem Quartier aushängt, gefällt ihm nicht. «Verschwörungstheorien will ich keinen Raum geben», sagt er – und wirft den Zettel in den Müll.

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