Die Empörung ist gross. Die Gegner des Covid-Gesetzes fühlen sich vor der Abstimmung vom 13. Juni vom Bundesrat «vorsätzlich hinters Licht geführt». Der Knackpunkt: Im Abstimmungsbüchlein werde dem Volk eine veraltete Fassung des Gesetzes vorgelegt, jene vom vergangenen September.
Seither aber sei das Gesetz gleich zweimal ergänzt worden. So erhalte die Regierung etwa die Kompetenz, über weitere Corona-Massnahmen zu entscheiden. Neu sind auch Privilegien für Geimpfte oder das Covid-Zertifikat.
All das ist im Abstimmungsbüchlein nicht aufgeführt, was sogar im Parlament für Kritik sorgte. SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor (57) hatte den Bundesrat angefragt, ob das Stimmvolk getäuscht werde. Und SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (42) wirft Gesundheitsminister Alain Berset (49) auf Twitter vor, die Bürger nicht ernst zu nehmen.
Abgestimmt wird nur über die «Urfassung» des Gesetzes
Das stimmt alles. Und dennoch geht alles mit rechten Dingen zu. Die Ausgangslage ist komplex. Da ist es wenig überraschend, dass viele verwirrt und unsicher sind.
Das Gesetz wurde im September 2020 vom Parlament als dringlich verabschiedet, um Corona-Rettungsmassnahmen wie Kurzarbeits- und Erwerbsersatzentschädigung, Härtefallhilfen für Gastronomie, Kultur und Sport gesetzlich zu legitimieren, die zuvor vom Bundesrat per Notrecht eingeführt wurden.
Gegen diese «Urfassung» wurde das Referendum ergriffen, über das nun abgestimmt wird. Weil sich im Laufe der Krise zeigte, dass es zusätzliche Hilfen braucht, beschloss das Parlament im Dezember 2020 und im März 2021 Ergänzungen. Diese aber sind formell nicht Teil der Abstimmungsvorlage. Sie «unterstehen jeweils separat dem Referendum, das bisher jedoch nicht ergriffen wurde», betont der Bundesrat.
Tatsächlich ist im Abstimmungsbüchlein in einer Fussnote erwähnt: «Dieser Text bildet den Stand bei Redaktionsschluss der Erläuterungen des Bundesrates. Zu diesem Zeitpunkt zeichneten sich weitere Änderungen des Gesetzes ab.»
Dennoch kämen auch die Ergänzungen zu Fall
Wird das Gesetz an der Urne abgelehnt, tritt es am 25. September ausser Kraft. Das aber gilt dann nicht mehr nur für die ursprüngliche Fassung. Betroffen wären auch sämtliche Ergänzungen. Zum Beispiel das Impfzertifikat. Denn ohne rechtliche Grundlage kann kein solches Zertifikat entwickelt werden.
Bundesrat und Parlament warnen insbesondere davor, dass bei einem Nein die Rechtsgrundlage für sämtliche Hilfsgelder fehlt. Doch auch dieser Punkt ist umstritten. Die Gegner des Gesetzes sind nämlich überzeugt, dass der Bundesrat «den Geschädigten der Pandemiemassnahmen auch auf ordentlichem parlamentarischem Weg helfen» kann. So könnten die Finanzhilfen aus dem Covid-Gesetz herausgelöst werden.
Der Bundesrat aber winkt ab. Zwar würde bis zum 25. September alles wie gehabt laufen. Für Firmen, die bereits Gelder erhalten haben oder sie bis dann noch erhalten werden, hätte ein Nein also vorerst keine Konsequenzen. Schwierig aber wird es, wenn weitere Hilfen nötig sind. Denn die Finanzhilfen müssten in andere Bundesgesetze überführt werden. Ein nahtloses Inkrafttreten wäre kaum möglich. Heisst konkret: Wird das Gesetz abgelehnt, gäbe es zumindest eine Lücke bei den Finanzhilfen.
Weiterer Lockdown bliebe auf jeden Fall möglich
Und das Ganze wird noch etwas komplizierter. Denn sogar wenn das Stimmvolk Nein sagt zum Covid-Gesetz, kann der Bundesrat weiterhin Läden und Restaurants schliessen oder Veranstaltungen verbieten. Und eigentlich sind es genau jene Massnahmen, die vielen Gesetzesgegnern ein Ärgernis sind.
Die Massnahmen sind aber eben nicht im Covid-Gesetz geregelt. Sie stützen sich auf das Epidemiengesetz. Und dieses hat die Stimmbevölkerung bereits im Jahr 2013 mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 60 Prozent angenommen. (dba)