Lange Zeit galt die Schweizer Ausssenpolitik als Garant für Verlässlichkeit. Doch mit Bundesrat Ignazio Cassis (63) gibt es immer wieder Überraschungen. So auch im Uno-Sicherheitsrat: Bei der Abstimmung, ob Palästina Uno-Vollmitglied werden solle, enthielt sich die Schweiz am Donnerstag der Stimme. Der Entscheid überrascht, denn die Schweiz setzt sich seit Jahren für eine Zwei-Staaten-Lösung ein, um den Nahostkonflikt zu befrieden.
Recherchen von SonntagsBlick zeigen: Der Bundesrat war zunächst für eine Uno-Vollmitgliedschaft Palästinas. Am 10. April war das Geschäft Thema im Gesamtbundesrat, der für ein Ja plädierte. Daraufhin konsultierte Cassis die Aussenpolitischen Kommissionen (APK). Während die APK des Nationalrats das Ja guthiess, plädierte der Ständerat für eine Enthaltung. Ein Votum, dem der Bundesrat am Ende folgte. Bis auf die USA (Veto) und Grossbritannien (Enthaltung) stimmten die anderen zwölf Mitglieder des Uno-Sicherheitsrats mit Ja, darunter die EU-Staaten Frankreich und Malta.
Die Schweiz und der Nahostkonflikt
Ja soll die Hamas schwächen
Der Entscheid des Bundesrats überrascht. In einer vertraulichen Analyse, die Blick vorliegt, heisst es, eine Uno-Vollmitgliedschaft Palästinas stehe in «Kontinuität der Schweizer Position». Sowohl historisch als auch aktuell setze sich die Schweiz in der Uno dafür ein, «dass beide betroffenen Parteien am Verhandlungstisch sitzen können». Auch würde ein Ja moderate Kräfte wie die PLO stärken und die Hamas schwächen. Zudem argumentierte Cassis, eine Vollmitgliedschaft hätte einen positiven Einfluss auf die Guten Dienste der Schweiz und würde Palästina dazu verpflichten, die Uno-Charta einzuhalten.
Für eine Enthaltung hingegen spreche die «aktuell grosse Instabilität vor Ort». Ein Votum pro Palästina könnte nach dem 7. Oktober 2023 als «Belohnung für die Terrorakte der Hamas» wahrgenommen werden. Auch sei das Ja von beschränkter Tragweite: Es sei unklar, welche «friedenspolitische Wirkung» die Vollmitgliedschaft überhaupt habe.
Wie umgehen mit den Siedler-Sanktionen?
Nach der Kontroverse ist vor der Kontroverse: Der Bundesrat muss bald darüber entscheiden, ob er sich den EU-Sanktionen gegen radikale israelische Siedler anschliessen will. Am Freitag teilte die EU mit, Einreisesperren zu verhängen.
Die israelische Botschafterin in Bern, Ifat Reshef (56), fordert den Bundesrat dazu auf, den EU-Sanktionen nicht zu folgen: «Israel ist ein demokratisches Land, in dem für alle der Rechtsstaat gilt», sagt Reshef zu SonntagsBlick. «Israel nimmt die Gewalt von Siedlern sehr ernst und führt umfangreiche Strafverfolgungsmassnahmen durch.»
Iran sei «Hauptquelle von Terrorismus und Gewalt»
Es gebe keinen Grund für die Schweiz, Sanktionen gegen israelische Bürger zu verhängen. Die internationale Gemeinschaft solle sich besser auf «Iran und seine Stellvertreter» konzentrieren. Reshef sieht hier «die Hauptquelle von Terrorismus und Gewalt im Nahen Osten. Jetzt ist es an der Zeit, Iran zu stoppen, bevor es zu spät ist», sagt Reshef. «Die internationale Gemeinschaft muss Iran zur Rechenschaft ziehen, die Korps der Islamischen Revolutionsgarden als terroristische Organisation einstufen und das iranische Raketenprogramm mit Sanktionen belegen.»
Auf das jüdische Pessachfest, das morgen Abend beginnt, blickt die Botschafterin mit traurigen Gefühlen: «Noch immer werden 133 Geiseln in Gaza festgehalten. Wir denken an die vielen Familien, die ihre Angehörigen vermissen oder um sie trauern.»