Die Hiobsbotschaft kam gestern um 14 Uhr per Mail und ging an sämtliche Mitarbeitenden der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG). Begründet mit den Covid-19-Auswirkungen läutet das Unternehmen unter Generaldirektor Gilles Marchand (58) eine massive Sparrunde von 50 Millionen Franken ein. Der Rückgang der kommerziellen Einnahmen betrage seit 2017 ingesamt fast 100 Millionen, und die Zukunft sei nicht rosig, begründet Marchand. Deshalb rechnet die SRG über die nächsten vier Jahre mit einem Abbau von rund 250 Vollzeitarbeitsplätzen. Sie hofft, diese Reduktion hauptsächlich über natürliche Fluktuationen zu realisieren, Entlassungen seien aber nicht zu vermeiden. Das Medienunternehmen sieht zusätzlich zum Sozialplan spezielle Begleitmassnahmen im Bereich der beruflichen Umschulung und der freiwilligen Frühpensionierung vor.
Diese Ankündigung erfolgt rund einen Monat nach der Präsentation des Transformationsprojekts «SRF 2024» durch SRF-Chefin Nathalie Wappler (52), welches einen markanten inhaltlichen Abbau im linearen Bereich bedeutet. So streicht SRF ab 2021 die Sendungen «Viva Volksmusik», «Eco», «Einstein Spezial» und die Übertragung externer Veranstaltungen wie «Art on Ice» oder «Swiss Music Awards». Die tägliche Sportsendung «Sportaktuell» – coronabedingt schon ausgesetzt – kehrt nicht zurück. Die allgemeine Schieflage akzentuiert sich zusätzlich durch schrille interne Misstöne. In einem Protestschreiben äusserte die SRF-Inlandredaktion erst vor zwei Wochen ihren Unmut über die Zustände im Newsroom. Gegenüber BLICK berichteten Mitarbeitende damals von einem «vergifteten Arbeitsklima». Die publizistische Effizienz sei «akut infrage gestellt».
Fussball-EM und Olympische Spiele als negativer Treiber
Die Covid-19-Auswirkungen für einen Stellenabbau ins Feld zu führen, ist im Fall der SRG nicht abwegig. Gerade durch den Ausfall der beiden sportlichen Mega-Ereignisse dieses Sommers – der Fussball-EM und der Olympischen Spiele – sind unerwartet wichtige, bereits einkalkulierte Einnahmeposten weggebrochen. Der Rückgang der kommerziellen Einnahmen, der hauptsächlich auf die Gesundheitskrise im ersten Halbjahr zurückzuführen ist, beträgt gegenüber dem Vorjahr 65 Millionen. Diesbezüglich sieht es auch für die nahe und mittlere Zukunft ungut aus. Gleichzeitig mit der SRG-Sparrunde wurde gestern als Beispiel gerade die Absage des diesjährigen Spengler Cups in Davos bekannt, bei dem SRF Sport als Official Broadcaster figuriert.
Für die rund 5500 SRG-Mitarbeitenden stellt sich jetzt natürlich die bange Frage: Wen trifft der Hammer? Wo wird abgebaut? SRG-Sprecher Edi Estermann sprach gestern Nachmittag gegenüber Blick TV von einem «schwierigen Tag». Die Sparmassnahmen beträfen sämtliche Einheiten – also nicht nur das SRF. «Das Ausmass wird nun analysiert, die einzelnen Unternehmenseinheiten werden anschliessend sukzessive informieren.» Als Erstes steht der Generaldirektor schon einmal persönlich hin: Morgen Donnerstag beantwortet Gilles Marchand in einem Live-Stream die Fragen der Mitarbeitenden.
Die SRG muss sparen
Gespart werden soll vor allem hinter den Kulissen
Viel Sparpotenzial gibt es gemäss BLICK-Quellen grundsätzlich in den Unternehmenseinheiten Radio Télévision Suisse (RTS) und Radiotelevisione Svizzera (RSI). Dort herrschten gemäss Insidern personalmässig teilweise immer noch «Luxuszustände wie in den 1990er-Jahren». Auch bei der auf Anfang 2020 wieder integrierten Tochtergesellschaft Technology and Production Center (TPC) gebe es grösseren Spielraum. Weil im Bereich der eigenproduzierten SRF-Unterhaltungsshows und in den Studios punkto Manpower in der Zwischenzeit heruntergefahren wurde, gebe es nun zum Teil Überbelegungen. Gespart werden soll also vor allem hinter den Kulissen. «Die Digitalisierung macht viele herkömmliche Jobs obsolet», sagt ein SRF-Kadermitarbeiter, der anonym bleiben will. So würde es künftig etwa weniger Regisseure, Kameramänner oder Beleuchter brauchen, da die Studios schon voll automatisiert seien.
Kein Sparthema beim SRF seien Unterhaltungsformate wie «Glanz & Gloria» oder die grosszügig besetzte Kulturabteilung unter Susanne Wille (46), die durch den Umzug ins neue Studio Basel gerade erst eine kräftige Aufwertung erfuhr. Auch die News-Abteilung soll vorerst unangetastet bleiben. «Informationen sind unser Kerngeschäft», betont Nathalie Wappler immer wieder. Deshalb sei auch der angekündigte Aufbau eines Recherche-Desks nicht gefährdet. Gilles Marchand will trotz trüben Aussichten vorwärts blicken. Diesen November lanciert die SRG ihre neue nationale Streaming-Plattform Play Suisse, welche Filme, Serien und Dokumentationen aus allen Sprachregionen anbietet – ein weiterer Schritt weg vom linearen Fernsehen.
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