Ein riskantes Unterfangen: SRF-Direktorin Nathalie Wappler (52) setzt auf digitale Kanäle, um jüngere Zuschauer zu erreichen. Gleichzeitig streicht sie Flaggschiff-Sendungen wie «Eco» und «sportaktuell», aber auch Event-Shows wie die «Swiss Music Awards», «Viva Volksmusik» oder «Art on Ice». SonntagsBlick hat bei der TV-Chefin nachgehakt.
Frau Wappler, Sie haben in der Corona-Krise das SRF-Programm ziemlich rigoros umgestaltet. Hat Ihnen der Lockdown auch privat neue Erkenntnisse gebracht?
Nathalie Wappler: Mich hat beeindruckt, wie stark Digitalisierung und Regionalisierung Hand in Hand gingen. Dank digitalen Kanälen konnten wir mit der ganzen Welt in Kontakt bleiben, gleichzeitig war das Gemüse vom Bauern nebenan so wichtig wie nie zuvor.
Wie stark belastet die Corona-Krise das Schweizer Fernsehen?
Da sitzen wir Medienunternehmen alle im selben Boot: Die Werbeeinbrüche haben sich durch die Corona-Krise nochmals zugespitzt.
Sie waren einst Kulturchefin von SRF. Was haben Sie gegen Volksmusik?
(Lacht) Gar nichts, die Volksmusik ist Kultur und ist und bleibt wichtig in unserem Angebot. Sehr viele Junge interessieren sich für Volksmusik und Schlager, musizieren selber. Sie konsumieren und machen ihre Musik aber zunehmend auch auf anderen Kanälen. Da wollen wir sie begleiten.
Mit der Absetzung von «Viva Volksmusik» lassen Sie ein Stück Volkskultur sterben. Warum?
Im Gegenteil, «Potzmusig» und die Musikwelle bleiben im Angebot. Auf die Sendung «Viva Volksmusik», die es nur einmal pro Jahr gab, verzichten wir zwar. Dafür bauen wir einen digitalen Volksmusik-Kanal mit einem ganzjährigen Angebot auf. Es wird in Zukunft also sogar mehr Volksmusik-Inhalte geben als heute.
Gehören Sendungen wie «Viva Volksmusik» oder auch das Wirtschaftsmagazin «Eco» nicht zum Service public?
Volksmusik und Wirtschaftsberichterstattung sind zweifellos ein wichtiger Teil des Service public, deshalb stärken wir beide Angebote: in der Wirtschaft mit einem neuen Talk mit Reto Lipp und mehr Wirtschaftsberichterstattung im digitalen Angebot, in der Volksmusik mit dem geplanten Youtube-Kanal.
Mit «Viva Volksmusik» stirbt eine der letzten grossen Samstagabend-Shows. Ist ihre Zeit endgültig abgelaufen?
Sendungen wie «Happy Day» beweisen, dass Shows und grosse Emotionen immer noch gut funktionieren. Der Samstagabend bleibt einer der wichtigsten Sendeplätze überhaupt. Aber inhaltlich hat er sich weiterentwickelt. Auch dokumentarische Angebote wie «Es geschah am ...» oder «Auf und davon» funktionieren sehr gut.
Nach welchen Kriterien haben Sie diese Sendungen aus dem Programm gekippt?
Wir haben, um die Transformation bereits 2021 direkt anzugehen, in allen Abteilungen im Haus erste Initiativen festgelegt, die wir nun umsetzen wollen. Dazu gehören auch erste Anpassungen am bestehenden Angebot.
Stossen Sie mit diesen Absetzungen nicht gerade jene Zuschauer vor den Kopf, die sich vor zwei Jahren noch für die Billag starkgemacht haben?
Zwischen «SRF 2024» und der Initiative gibt es keinen Zusammenhang. Es waren vor zwei Jahren übrigens die Jungen, die No Billag am deutlichsten abgelehnt haben. SRF hat den Auftrag, ein Angebot für alle Menschen in der Deutschschweiz zu machen, schliesslich zahlen auch alle Gebühren. Heute erreichen wir Menschen unter 45 aber deutlich schlechter als ältere. Deshalb planen wir neue, digitale Inhalte für die Jungen.
Auch der Sport muss Opfer erbringen: Sie streichen «sportaktuell». Stimmt es, dass Sportnews künftig an «10 vor 10» angehängt werden sollen?
Nein, das stimmt nicht. Eine tägliche Sportzusammenfassung am Abend entspricht nicht mehr den heutigen Gewohnheiten, man informiert sich den ganzen Tag über das aktuelle Sportgeschehen. Deshalb bauen wir die aktuelle Berichterstattung online aus und produzieren zweimal am Tag aus diesen Online-Inhalten einen «sportflash», der im Fernsehen ausgestrahlt wird.
Wie sehr schmerzt es Sie, dass die Zuschauer die Champions-League-Spiele künftig bei der Konkurrenz gucken müssen?
Natürlich hätten wir unserem Publikum die Champions League gerne auch über das Jahr 2021 hinaus gezeigt. Aber als gebührenfinanzierter Sender können und wollen wir die teilweise horrenden Preise für Sportrechte einfach nicht bezahlen.
Wie können Sie dem dagegenhalten, dass die SRF-Zuschauer unter solchen Umständen zur Konkurrenz wechseln?
Indem wir ein umfangreiches Angebot für alle haben – im Fernsehen, Radio und im digitalen Angebot. Die digitale Transformation, die wir nun angehen, ist ein wichtiger Schritt dazu.
SonntagsBlick liegt ein Schreiben der «Art on Ice»-Veranstalter vor. SRF spare keinen Rappen, indem es diese Sendung kippe, heisst es darin. Die Sendung sei bei Ihnen pfannenfertig angeliefert worden.
Wir haben die Sendung nie eins zu eins so ausgestrahlt, insofern sind bei SRF für Moderation oder Postproduktion Kosten angefallen.
Dasselbe gilt für die «Swiss Music Awards». Diese Ausstrahlung war für SRF ebenfalls eher kostengünstig. Warum musste diese Show sterben?
Der Aufwand für die Sendung lag im mittleren sechsstelligen Bereich. Wir können die digitale Transformation nur schaffen, wenn wir im linearen Programm auf Inhalte verzichten und diese Mittel ins Digitale umlagern können. Gerade bei der Musik, die schon heute stark digital über Streaming und Podcasts konsumiert wird, sehen wir da ein grosses Potenzial.
Gehört eine solche Verleihung nicht auch zum Service public? Und ist eine solche Sendung nicht gerade für das junge Publikum attraktiv, das Sie wieder gewinnen wollen?
Dass wir die Veranstaltung nicht mehr übertragen, heisst ja nicht, dass wir nicht darüber berichten. Das gilt für die «Swiss Music Awards» genauso wie für «Art on Ice».
Eine Umfrage hat ergeben, dass unter 45-Jährige kaum mehr TV gucken. Wie kann man jüngere Leute überhaupt dazu bringen, dass sie linear TV schauen?
Richtig, deshalb machen wir «SRF 2024». Dass unter 45-Jährige heute weniger lineares Fernsehen schauen – diesen Trend können wir nicht umkehren. Also müssen wir uns an die veränderte Nutzung anpassen. Deshalb planen wir für dieses Publikum neue Inhalte, die wir in erster Linie auf digitalen Kanälen ausspielen. Viele der Inhalte werden später auch im Radio und Fernsehen präsentiert und erreichen dort das Publikum, das Medien noch linear konsumiert.
Sie lancieren auf Instagram und Youtube drei neue Musikkanäle mit Hip-Hop, Rock und Volksmusik/Schlager. Entspricht das noch dem Auftrag der SRG?
Ja. In der Konzession steht explizit, dass wir Inhalte für junge Menschen anbieten müssen und diese über die Kanäle verbreiten sollen, auf denen sich die Jungen bewegen. Dazu gehören nun einmal auch Drittplattformen. Ebenso wichtig ist aber auch die Stärkung unserer eigenen Plattformen.
Befürchten Sie nicht, dass die Billag-Gegner wieder aktiv werden, wenn Sie Ihre Programme immer mehr auf Youtube verlegen?
Wir hören von Jüngeren immer wieder, zu Recht übrigens, dass wir zu wenige Angebote für sie bereitstellen. Dabei zahlen sie auch Gebühren.
Schlager- und Volksmusik-Fans sind aber eher älter. Wollen Sie diese zwingen, Programme künftig am Laptop anzuschauen?
Unterschätzen Sie das ältere Publikum nicht! Viele davon sind regelmässig auf Youtube unterwegs und wissen diese Kanäle auch auf dem grossen Bildschirm zu nutzen. Und wir wissen auch, dass sich viele Junge für Schlager und Volksmusik interessieren. Heute haben wir für sie fast gar kein Angebot, das wollen wir ändern. Inhalte, die wir dafür entwickeln, werden übrigens auch den Weg zurück ins klassische Radio und Fernsehen und damit auch zum älteren Publikum finden.
Nathalie Wappler ist in Kreuzlingen TG aufgewachsen. Nach dem Studium arbeitete sie bei 3sat und beim ZDF. 2005 kam sie zum Schweizer Fernsehen, ab 2011 war sie Kulturchefin. Eine ihrer ersten Amtshandlungen: Sie schoss die erste Folge des Schweizer «Tatorts» seit zehn Jahren ab, weil er zu viele «plumpe Schweizer Klischees» enthielt. 2016 wechselte die Hobby-Pianistin zum MDR. 2019 kehrte sie als neue SRF-Direktorin in die Schweiz zurück. Sie ist seit 2009 mit Radiomann Wolfgang Hagen (70) verheiratet.
Nathalie Wappler ist in Kreuzlingen TG aufgewachsen. Nach dem Studium arbeitete sie bei 3sat und beim ZDF. 2005 kam sie zum Schweizer Fernsehen, ab 2011 war sie Kulturchefin. Eine ihrer ersten Amtshandlungen: Sie schoss die erste Folge des Schweizer «Tatorts» seit zehn Jahren ab, weil er zu viele «plumpe Schweizer Klischees» enthielt. 2016 wechselte die Hobby-Pianistin zum MDR. 2019 kehrte sie als neue SRF-Direktorin in die Schweiz zurück. Sie ist seit 2009 mit Radiomann Wolfgang Hagen (70) verheiratet.
Sie haben angetönt, dass Sie Moderatoren wie Reto Lipp behalten wollen. Anderseits müssen Sie auch sparen. Wann beginnt das grosse Köpferollen?
Reto Lipp wird den geplanten Wirtschafts-Talk moderieren und auch sonst eine wichtige Rolle in der Wirtschaftsberichterstattung spielen. In der digitalen Transformation ist es unser Ziel, so viele Kolleginnen und Kollegen wie möglich mitzunehmen. Künftig brauchen wir Know-how, das es so bei uns im Haus noch nicht ausreichend gibt. Uns ist es gelungen, ein angemessenes Weiterbildungsbudget bereitzustellen, so dass Umschulungen möglich sind. Um Entlassungen werden wir aber nicht herumkommen.
Wer muss um seinen Job fürchten?
Diesen Prozess wollen wir mit sehr viel Sorgfalt durchführen, schliesslich geht es um Menschen. Also brauchen wir noch etwas Zeit.
Eine andere Personalie wäre wieder verfügbar: Patrizia Laeri ist nach dem Aus von CNN Money auf Stellensuche. Kommt sie an den Leutschenbach zurück?
Ich bedaure sehr, was bei CNN Money Switzerland passiert ist. Das Aus für den Sender ist ein Verlust für die Vielfalt in unserer Medienlandschaft. Ansonsten bitte ich um Verständnis, dass ich mich nicht zu Personalspekulationen äussere.
Welche Sendungen gibt es in zehn Jahren überhaupt noch?
Ich bin davon überzeugt, dass es viele unserer heutigen Angebote – nicht nur aus dem Fernsehen, auch aus dem Radio und dem digitalen Angebot – in zehn Jahren noch geben wird. Die Leute werden sich auch dann noch über Medien informieren, unterhalten und bilden. Sie werden Sachen suchen, mit denen sie verbunden sind und die sie einfach gernehaben. Über welche Verbreitungswege sie das machen werden, kann man heute noch nicht sagen.
Und welche Sendungen gibt es dann bei SRF nicht mehr?
Schauen Sie: Transformation hat es schon immer gegeben. Vor vielen Jahren wurde die legendäre Sendung «Karussell» aus dem Programm genommen, um ein neues Vorhaben zu finanzieren – «10 vor 10». Damals hat es deswegen viel Empörung gegeben. Vor wenigen Tagen wurde «10 vor 10» 30 Jahre alt. Manchmal braucht es Veränderungen, um tolle neue Angebote zu schaffen.
Von was für einer neuen Sendung träumen Sie?
Momentan ist es nicht eine einzelne Sendung, die mich beschäftigt, sondern ganz SRF: Wir stehen am Anfang eines grossen Umbaus, SRF soll digitaler werden. Insofern hoffe ich, dass ich 2024 sagen kann, dass wir unserem Ziel, ein Medienhaus für alle zu sein, einen grossen Schritt näher gekommen sind.
Frau Wappler, vor einem Jahr sagten Sie, dass Sie einen Traumjob haben. Finden Sie das unter solchem Spardruck immer noch?
Ja. Als ich den Job angetreten habe, wusste ich genau, dass grosse Herausforderungen auf uns warten. Für mich ist es immer noch ein grosses Privileg, das öffentliche Medienhaus der Deutschschweiz in die digitale Zukunft führen zu dürfen – und zwar für die ganze Bevölkerung, egal ob Jung oder Alt.
TV-Direktorin Nathalie Wappler ist im Dilemma: Sie muss SRF digital transformieren, wenn sie ein jüngeres Publikum zurückgewinnen will. Dafür spart sie beim klassischen Fernsehen. Und erzürnt damit das Stammpublikum.
Noch sind die Massnahmen nicht gravierend: «Sportaktuell» verlor schon lange Zuschauer, die Wirtschaftsberichte von «Eco» kann man in «10 vor 10» packen. Und Nicolas Senn gibt es auch ohne «Viva Volksmusik» weiterhin als «Potzmusig».
Nur: Das klassische Fernsehen wird konsequent ausgedünnt. Es ist das Fernsehen der älteren Gebührenzahler. Stattdessen will man mit Kanälen auf Youtube oder Instagram die Leute abholen. Aber wer will sich am Laptop Schlagersendungen anschauen? Und ist es der Auftrag der SRG, sich auf Social Media zu tummeln?
SRF könnte sich im Labyrinth sozialer Medien auch verlieren. Spartenfernsehen ist nicht mehr Massenfernsehen. Ohne Massen aber keine Werbung. Schwierig alles.
Bis jetzt ist SRF noch attraktiv. Es wäre gefährlich, wenn plötzlich die letzten SRF-Highlights der Digitalisierung zum Opfer fielen.
Lineares Fernsehen hat auch seine Trümpfe: Es ist unmittelbar, echt, eben live.
Wenn sich SRF komplett zum zeitversetzten Fernsehen entwickelt, verliert es seinen Charakter. Als Retorten-Sender bringt es sich selber um.
TV-Direktorin Nathalie Wappler ist im Dilemma: Sie muss SRF digital transformieren, wenn sie ein jüngeres Publikum zurückgewinnen will. Dafür spart sie beim klassischen Fernsehen. Und erzürnt damit das Stammpublikum.
Noch sind die Massnahmen nicht gravierend: «Sportaktuell» verlor schon lange Zuschauer, die Wirtschaftsberichte von «Eco» kann man in «10 vor 10» packen. Und Nicolas Senn gibt es auch ohne «Viva Volksmusik» weiterhin als «Potzmusig».
Nur: Das klassische Fernsehen wird konsequent ausgedünnt. Es ist das Fernsehen der älteren Gebührenzahler. Stattdessen will man mit Kanälen auf Youtube oder Instagram die Leute abholen. Aber wer will sich am Laptop Schlagersendungen anschauen? Und ist es der Auftrag der SRG, sich auf Social Media zu tummeln?
SRF könnte sich im Labyrinth sozialer Medien auch verlieren. Spartenfernsehen ist nicht mehr Massenfernsehen. Ohne Massen aber keine Werbung. Schwierig alles.
Bis jetzt ist SRF noch attraktiv. Es wäre gefährlich, wenn plötzlich die letzten SRF-Highlights der Digitalisierung zum Opfer fielen.
Lineares Fernsehen hat auch seine Trümpfe: Es ist unmittelbar, echt, eben live.
Wenn sich SRF komplett zum zeitversetzten Fernsehen entwickelt, verliert es seinen Charakter. Als Retorten-Sender bringt es sich selber um.