Das Urteil im Wirtschaftsprozess des Jahrzehnts ist gefallen. Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz (65) kassiert wegen Betrugs, Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung eine unbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Zusätzlich eine bedingte Geldstrafe von 280 Tagessätzen à 3000 Franken.
Einer, der bis zum Schluss an einen Freispruch glaubte, ist sein guter Freund Hausi Leutenegger (82). «Als ich heute Morgen am Telefon davon erfuhr, hat es mir den Atem verschlagen, das Handy ist mir sofort aus der Hand gefallen», sagt der Unternehmer empört zu Blick.
Führende Swissair-Angestellte flogen mit Kind und Kegel um die Welt
Der Thurgauer ist ausser sich. «Das Urteil ist ein Skandal» wettert er. «Auch wenn vieles sicher nicht in Ordnung war, was Pierin gemacht hat. Doch was ist mit all den Bankern, die ihr Unternehmen mit Misswirtschaft um Millionen gebracht haben und massiven Imageverlust verursachten?» Auch was mit der einstigen Schweizer Vorzeige-Fluggesellschaft passiert ist, kritisiert er scharf. Er habe selbst miterlebt, «wie führende Angestellte der Swissair mit Kind und Kegel in der ersten Klasse um die Welt flogen. Diese hätten wie die Banken-Hallodris ins Gefängnis gehört, doch sie wurden mit einer Millionenabfindung noch beschenkt.»
Leutenegger, der seit 55 Jahren treuer Raiffeisen-Kunde ist und dies auch bleiben wird, findet daher, es habe mit Pierin Vincenz den Falschen getroffen. «Im Vergleich zu den anderen Wirtschaftsgrössen, die Schindluder betrieben haben, ist er doch ein kleiner Fisch.» Man habe an ihm und seinem einstigen Kompagnon Beat Stocker (61), der zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde, wohl ein Exempel statuieren wollen.
Leutenegger hofft, Vincenz an der Olma wieder auf eine Bratwurst zu treffen
«Es tut mir sehr leid für beide, für die Bank und für alle, die nun da drin hängen», sagt Leutenegger. «Ich nehme an, dass sie in Berufung gehen werden. Das letzte Wort ist da sicher noch nicht gesprochen.»
Der Thurgauer hofft dennoch, Vincenz bei der nächsten Olma im Oktober wieder auf eine Bratwurst zu treffen. «Das ist unsere Tradition. Ich hoffe, er hat dann mehr Grund, diese zu geniessen, als er sie heute hätte.»