Auf einen Blick
- Neue Komödie «Alles uf Aafang» im Zürcher Theater am Hechtplatz
- Kontroverse um Hitler-Figur: Kritische Fragen und Hommage an Bruno Ganz
- Sechstes gemeinsames Stück von Beat Schlatter (63) und Pascal Ulli (55)
Ein Schauspielehepaar, das liebenswert ist, sich aber nicht mehr liebt. Eine Treuhänderin, die ein Kindertheater zur Tarnung für Geldwäsche missbraucht. Ein Steuerkommissär, mit dem nicht gut Kirschen essen ist, der aber doch an das Gute glaubt. Und ein Hitler-Darsteller, der als Braunbär im Körper eines Eisbären sein lang ersehntes Comeback gibt. So steht es im Programmheft zur neuen Komödie «Alles uf Aafang», das bis zum 16. Februar im Zürcher Theater am Hechtplatz aufgeführt wird.
Es ist das sechste gemeinsame Stück von Beat Schlatter (63, «Bon Schuur Ticino) und Pascal Ulli (55, «Alles Licht, das wir nicht sehen»), zwei der etabliertesten Schweizer Schauspieler und Theatermacher, die bei ihrer neusten Komödie als Autor, Regisseur und Produzenten agieren. Bei ihrer rasanten Backstage-Komödie, wie sie diese bezeichnen, brillieren in den weiblichen Rollen zudem Tamara Cantieni und Colette Nussbaum und als Steuerkommissär Matthias Hungerbühler.
Darf man mit Hitler Geld verdienen?
Die Altersempfehlung für «Alles uf Aafang» ist ab zehn Jahren angesetzt. In Anbetracht der Hitler-Darstellung von Ulli scheint dies aber doch sehr gewagt. Nach der Premiere vom 9. Januar blieben einige prominente Gäste ratlos, teils entsetzt zurück, so die Beobachtung und erste Reaktionen gegenüber Blick. Nur wenige realisierten die Anspielung auf die «Weltwoche». Doch dazu später mehr.
Dass sich auf Blick-Anfrage nur einer der angefragten Prominenten öffentlich äussern will und Ulli, bekannt für seine scharfsinnige Komik mit intellektuellem Ansatz, der Einzige der Truppe ist, der sich mit Blick darüber unterhält, spricht jedenfalls für die Brisanz.
«Logisch, haben wir intensiv über Hitler diskutiert und uns mit der Entscheidung, ihn in einer Rolle zu thematisieren, nicht leichtgetan», sagt Ulli zu Blick. Drei Entscheidungspunkte hätten sie schlussendlich dazu gebracht, ihn bewusst zu thematisieren. «Wir weisen in einem Dialog darauf hin, dass die ‹Weltwoche› Hitler in den letzten vier Jahren fünfmal auf dem Titel hatte. Dabei stellt sich die berechtigte Frage: Darf man mit Hitler Geld verdienen?».
Er und seine Crew seien weder gegen die Wochenzeitung, noch seien sie politisch links oder rechts. «Doch wir sind in der Verantwortung, nebst grossartiger Unterhaltung zu bieten, kritische Fragen zu stellen und zum Nachdenken anzuregen. Humor ist immer ein probates Mittel zur Auseinandersetzung mit schwierigen Themen.» Eine Anfrage vom Donnerstagmorgen liess «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel (59) bis anhin unbeantwortet.
Viele haben bei der Premiere des Stücks nicht die «Weltwoche» im Kopf gehabt, manche aber schon, so wie der Gemeindepräsident von St. Moritz, Christian Jott Jenny (46). Er sagt: «Bereits Charlie Chaplin hat sich über Hitler lustig gemacht, und den Film ‹Der grosse Diktator› nota bene bereits vor Kriegsausbruch geschrieben. Es ist nicht die Frage, ob, sondern wie man Comedy mit und über schreckliche historische Figuren macht. Für mich war der Zusammenhang mit der ‹Weltwoche› klar, da ich die Anspielung verstanden habe. Das fand ich irgendwo recht komisch.»
Erlaubt ist, was zum Denken anregt
Pascal Ulli nennt als zweite Rechtfertigung für die Hitler-Figur die Grundstruktur einer Komödie. «Lustig ist immer die grösstmögliche Katastrophe, in diesem Fall, dass ein Märchentheater einen Hitler-Darsteller engagieren muss.» Und drittens sei dies eine Hommage an den grossen Schweizer Schauspieler Bruno Ganz (1941–2019), der für seine Hitler-Darstellung in «Der Untergang» gefeiert wurde und auch post mortem primär mit dieser Rolle in Verbindung gebracht werde, obwohl er eine Vielzahl grandioser Rollen gespielt hatte.
«Auch ich habe einige Nazis in internationalen Filmproduktionen gespielt», sagt Pascal Ulli und ergänzt: «Als Schweizer Schauspieler haben wir den Vorteil, dass wir im Gegensatz zu unseren deutschen Kollegen Nazis freier spielen können, wir haben die historische und familiäre Distanz. Ich spiele gerne Bösewichte, denn dank des Bösewichts kann der Held erst glänzen.»
Seit Jahrzehnten wird mit Nazi-Diktator und Jahrhundertverbrecher Adolf Hitler (1889–1945) Comedy, Klamauk und Politsatire gemacht: «The Producers», «Mein Führer» oder «Er ist wieder da», um nur einige Produktionen zu nennen. Darf, soll oder muss man dies tun? Seit Jahrzehnten gehen auch dazu die Meinungen auseinander.
Mit der philosophischen Frage nach dem Erlaubten hat sich schon der deutsche Dichter Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) in seinem Schauspiel «Torquato Tasso» auseinandergesetzt. So meint der Protagonist zu seiner Angebeteten: «Erlaubt ist, was gefällt.» Sie hält ihm entgegen: «Erlaubt ist, was sich ziemt.»
Oder wie bei «Alles uf Aafang»: Erlaubt ist, was zum Denken anregt.