Geplant war, dass Toni Häne (63) heute eine ruhige Kugel schieben und in zwei Jahren in Pension gehen würde. Unbeachtet von der Öffentlichkeit würde seine Arbeitgeberin SBB ihn in Ehren verabschieden, sicher mit einem schönen Blumenstrauss.
Stattdessen folgten innert zwei Jahren zwei Beförderungen. 2016 vom Leiter Verkehrsmanagement zum Leiter Regional- und Fernverkehr, 2018 zum Leiter Personenverkehr. Damit ist Häne die Nummer zwei im Konzern. Auf diesem Posten schiebt man keine ruhige Kugel, sondern beschäftigt sich mit Verspätungen, dem Pannen-Bombardier, dem Streit mit Stadler Rail (BLICK berichtete). Die SBB haben so ihre Probleme mit der Komplexität des 21. Jahrhunderts.
Das Führungspersonal? Ist grösstenteils nicht alte Schule, sondern topmondän. CEO ist Andreas Meyer (57), Jurist, ausgebildet an einer Pariser Elite-Uni. Die oberste Aufpasserin, Präsidentin Monika Ribar (59), geriet in den Angola-Korruptionssumpf, geniesst am Bahnhof Rüschlikon ZH einen Gratisparkplatz für ihren Maserati.
«Ich mag solche Herausforderungen»
Und dann ist da Anton Häne, Rufname Toni. 1971, vor 48 Jahren, begann er bei den SBB als Stationslehrling in Au SG. Nach einem Haufen Weiterbildungen ist er fast ganz oben. «Ich bin auch seit 36 Jahren mit derselben Frau verheiratet. Konstanz macht das Leben einfacher», erklärt er seine Treue, als BLICK ihn in der Personenverkehrs-Zentrale im Berner Wylerfeld trifft. Anlass ist ein Interview über die mühsame Beschaffung des Bombardier-Doppelstöckers.
Wie sehr setzt Ihnen das Schlamassel zu? «Ach wissen Sie, ich mag solche Herausforderungen, auch wenn der Auslöser jeweils unerfreulich ist.» So sei er im Herbst 2001 Teil des Krisenstabs gewesen, als die SBB nach dem Swissair-Grounding plötzlich massiv mehr Kapazität zwischen den Flughäfen anbieten musste.
«Nur wenige Wochen danach prallten im Gotthard zwei Camions aufeinander. Das Inferno tötete elf Menschen, der Tunnel blieb zwei Monate gesperrt. Ich half dabei, den Andrang beim Bahnverkehr auf der Nord-Süd-Achse zu bewältigen. Genau wie 2005 nach dem Jahrhunderthochwasser in Uri.» Das sei jeweils etwas Interessantes neben dem Tagesgeschäft. «Darum bringt mich auch die aktuelle Situation beim Doppelstöcker nicht aus dem Konzept», kommt er zum Schluss.
«Kein X für ein U»
So zieht sich das durchs ganze Gespräch. Egal, auf welche Art ihn die Journalisten zu provozieren versuchen: Häne beantwortet die Fragen nicht nur – er führt aus, ruhig, detailliert und ausschweifend. Warum der Pannen-Bombardier eigentlich doch ein guter Zug sei, warum alles nicht so schlimm sei, warum die SBB zwingend ihr Monopol behalten müssen. «Natürlich geben wir unser Bestes. Aber ich nehme die Kritik nicht persönlich. Sind die Schweizer in der Schweiz, motzen sie gerne und oft über die SBB. Sind sie im Ausland, sind sie enorm stolz auf sie.»
Wer soll das auch besser wissen als er? «Ich weiss, wie man eine Weiche stellt, wie man die Beförderung von Tausenden an ein Grossereignis plant und wie man Ersatz für einen Doppelstöcker organisiert, der eine Panne hat», sagt er nicht ohne Stolz. «Mir macht hier im Laden keiner ein X für ein U vor. Das kann ein Quereinsteiger-Chef nicht von sich behaupten.»
Zum Abschalten in den Eisenbahn-Keller
Erzählen und erklären kann er gut und lange, der Grossvater einer Fünfjährigen. Und wenn diese dann einmal nicht mehr zuhören mag, nimmt er sie mit in den Hobbykeller seines Hauses in Moosseedorf BE. Dort steht – Überraschung! – eine Modelleisenbahn. Sächsische Schmalspurbahn, inklusive Berglandschaft, WC-Häuschen und Tunnel, Nenngrösse I, das heisst im Massstab 1:32.
«Ich bin gerne ein paar Stunden da unten, mache repetitive Sachen, klebe haufenweise Eisenbahnschwellen an.» Die Alternative dazu ist Töfffahren. «Ich habe eine Triumph Bonneville, mit der ich immer gerne in den Jura fahre. Dort hat es genug Platz, um den Kopf zu lüften.» Nirgends könne er seine Entscheidungen besser hinterfragen. «Ich hoffe, mich trotz allem nicht von der Basis zu entfernen. Das Kriterium ist immer, ob man von langjährigen Mitarbeitern noch zum Abschiedsapéro eingeladen wird. Die meisten wollen mich noch dabeihaben.»