Toni Häne über Bombardier-Züge und den Internetzugang
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SBB-Häne über Bombardier:Toni Häne über Bombardier-Züge und den Internetzugang

SBB-Personenverkehrschef Toni Häne verteidigt die Pannenzüge von Bombardier
«Ich kenne niemanden, dem schlecht geworden ist»

Die Bombardier-Doppelstöcker sind ein grosses Ärgernis. Nicht nur für die Passagiere, denen im Obergeschoss schlecht werden soll. Sondern auch für die Planer bei den SBB. Im Interview mit BLICK erklärt Personenverkehrs-Chef Toni Häne, warum es doch gut kommt.
Publiziert: 30.01.2019 um 22:59 Uhr
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Aktualisiert: 31.01.2019 um 06:39 Uhr
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Spezielle Bürostühle: Häne empfing BLICK in einem Sitzungszimmer voller Erstklass-Sessel.
Foto: Philippe Rossier
Claudia Gnehm und Konrad Staehelin

Seit Toni Häne (63) vor einem Jahr die Nummer zwei der SBB wurde, hat er vor allem eine Baustelle: den Fernverkehrs-Doppelstöcker, kurz FV Dosto, von Hersteller Bombardier. 2010 hatte die SBB 59 Kompositionen für 1,9 Milliarden Franken bestellt, ab 2013 hätten die ersten fahren sollen. Mittlerweile rollen erst 12 davon durch die Schweiz, mal besser, oft schlechter.

Als Strafe für die Verspätung liefert Bombardier den SBB gratis drei Zugkompositionen mehr. Im SonntagsBlick setzte SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner (65) vor zweieinhalb Wochen noch einen drauf: «Grob gerechnet komme ich auf einen Schadenersatz von 600 Millionen Franken.»

Heute stellt Häne den Medien die renovierten Vorgänger des FV Dosto, die IC2000er-Flotte, vor. Gestern schon empfing er BLICK am Sitz der SBB-Personenverkehrs-Abteilung in Bern zum Interview.

BLICK: Herr Häne, was stellen Sie mit 600 Millionen Franken an?
Toni Häne: Ich kommentiere die angebliche Höhe einer Schadenersatzforderung nicht. Da haben wir Stillschweigen vereinbart.

Aber wir bewegen uns in dieser Grössenordnung, ja?
Das diskutiere ich nicht. Ich kann aber sagen, was wir tun, um die Verfügbarkeit des Zugs zu steigern: Wir haben am Morgen zusätzliche Lokführer, um das System des FV Dosto hochzufahren. Wir setzen mehr Lokführer, Kundenbegleiter und Extra-Rollmaterial ein. Am Schluss zählen wir die Kosten dafür zusammen. Aber es geht im Moment nicht ums Geld, sondern darum, dass die Qualität für die Kunden so schnell wie möglich stimmt.

Bähnler seit 48 Jahren

Toni Häne (63) ist seit Anfang 2018 Leiter des SBB-Personenverkehrs mit 14'000 Mitarbeitern und damit hinter CEO Andreas Meyer (57) die Nummer zwei im Konzern. Zuvor war er Chef der Fernverkehrs-Sparte. Aufgewachsen im St. Galler Rheintal, trat er 1971 als 16-jähriger Stationslehrling bei den SBB ein. Danach gings Stufe um Stufe nach oben. Bis in die 90er-Jahre chrampfte Häne in der Ostschweiz an der Front, dann wechselte er in die Zentrale nach Bern. Er beerbt in seinem Posten Jeannine Pilloud (54). Häne ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Toni Häne (63) ist seit Anfang 2018 Leiter des SBB-Personenverkehrs mit 14'000 Mitarbeitern und damit hinter CEO Andreas Meyer (57) die Nummer zwei im Konzern. Zuvor war er Chef der Fernverkehrs-Sparte. Aufgewachsen im St. Galler Rheintal, trat er 1971 als 16-jähriger Stationslehrling bei den SBB ein. Danach gings Stufe um Stufe nach oben. Bis in die 90er-Jahre chrampfte Häne in der Ostschweiz an der Front, dann wechselte er in die Zentrale nach Bern. Er beerbt in seinem Posten Jeannine Pilloud (54). Häne ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Das Projekt FV Dosto wirkt wie ein Scherbenhaufen.
Das ist es nicht. Der FV Dosto ist ein guter, schöner Zug. Fahrzeugbeschaffungen sind Generationenprojekte. In der neusten Fahrzeuggeneration ist die Traktion auf den ganzen Zug verteilt. Die für einen schnellen Fahrgastwechsel grossen Türen sind eine grosse Herausforderung für die vorgesehenen Geschwindigkeiten bis 200 km/h. Es gibt keine Lok mehr. Dazu braucht es viel mehr Software. Die IT des Zugs entspricht dem Doppelten der Ausrüstung an unserem Hauptsitz. Was der Zug alles kann – oder was er alles können sollte – ist wunderbar.

Schön und gut, doch für die sechs Jahre Verspätung muss jemand verantwortlich sein. Wer?
Der Hersteller. Es ist, wie wenn Sie ein Haus bauen. Funktioniert bei der Abnahme die Tür nicht, ist auch klar, wer verantwortlich ist.

Hätten Sie im Rückblick lieber einen anderen, zum Beispiel den Schweizer Hersteller Stadler Rail, genommen?
Zum Zeitpunkt der Ausschreibung hat Bombardier die vielen Kriterien am besten erfüllt. Da sind wir an das Gesetz für öffentliche Ausschreibungen gebunden.

Wann fährt der Zug endlich pannenfrei?
Er verbessert sich, wenn auch langsam. Wir fahren 32 bis 35 Züge pro Tag zwischen Chur, St. Gallen, Zürich und Basel. Im Schnitt fällt einer aus. Dafür entschuldige ich mich bei den Reisenden. Das Problem ist die Software. Meistens sind es Türstörungen, da arbeitet jetzt der Zulieferer dran. Manchmal ist es das Traktionsprogramm, manchmal die Kopplung von zwei Zügen. Ich mache keine Prognosen, wann die Software gut genug ist, um sie auf allen Zügen laufen zu lassen.

Das Bundesgericht könnte Ihnen wegen der Beschwerde des Behindertenverbands Inclusion Handicap weitere Verzögerungen einbrocken.
Wir machen heute schon sehr viel für die Behinderten. Zum Beispiel steht das SBB Callcenter Handicap den mobilitätseingeschränkten Kunden bei Zugreisen zur Seite. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerde vollständig abgewiesen. Wir müssen einzig nachweisen, dass mindestens ein Ein- und Ausstieg der vorgegebenen Neigung entspricht. Das werden wir in nächsten Monaten tun. Inclusion Handicap hat das angefochten, jetzt müssen wir den Entscheid abwarten.

Es gibt noch mehr Probleme: Vielen Passagieren im oberen Stock soll es schlecht werden.
Das wird so rumerzählt. Ich weiss aber von keinem Kunden, dem das wirklich passiert ist. Wir fahren ja auch mit dem Zug. Ich habe meine Leute gebeten, rückwärts im Zug zu sitzen und dabei zu arbeiten. Keinem ist es schlecht geworden, auch nicht jenen, die anfällig sind. Also verteilen wir sicher keine Papiertüten. Aber es ist auch klar, dass der FV Dosto nie die Laufruhe eines alten Einstöckers haben wird.

Anfangs Januar haben die SBB in einem Communiqué scharf gegen Bombardier geschossen, die Verspätung sei «nicht akzeptabel». Plötzlich tönen Sie ganz mild. Warum?
Wir müssen diesen Zug zum Laufen bringen, wir haben keine andere Wahl. Wir unternehmen mit Bombardier alles, damit uns dies rasch gelingt. Aber natürlich sind wir mit dieser Situation nicht zufrieden.

Derzeit sind 12 Züge auf den Schienen. Eigentlich sollten die bestellten 62 bereits in Betrieb sein. Ihnen fehlen im Moment 50 Zugkompositionen. Wie gehen Sie damit um?
Wir haben nicht nur zu wenige Züge, sondern wir bauen auch laufend das Angebot aus. Es wird immer enger. Bis im Dezember hatten wir noch Fahrzeuge gemietet, die jetzt vom Zürcher Verkehrsverbund für den Ausbau der S-Bahn Zürich verwendet werden und früher als gedacht verfügbar waren. Aber dieses Jahr haben wir neben dem Genfer Autosalon auch das Eidgenössische Schwingfest, das Eidgenössische Turnfest während zwei Wochenenden, das Züri-Fäscht, die Fête des Vignerons. Das Planen mit der bisherigen Flotte wird immer schwieriger.

Laufen Sie beim nächsten Ausbau Ende Jahr in einen Engpass?
Das Rollmaterial ist jetzt schon knapp. Aber meine Mitarbeiter finden immer wieder einen Ersatz.

Also fahren Sie die Leute immer noch mit den alten Büchsen wie zum Beispiel dem blau-gelb-roten Klassiker Kolibri herum
Nein, die sind schon lange verschrottet. Aber wir fahren heute mit Fahrzeugen, die schon nicht mehr neu waren, als ich vor 48 Jahren angefangen habe. Das sind die EW 1 und EW 2 aus den 1960er-Jahren. Es ist mein Ziel, dass ich die noch vor meiner Pensionierung ausrangieren kann.

Viele Passagiere haben die viel lieber. Bei Hitze kann man den Fahrtwind geniessen. Und das WC funktioniert immer – es ist nur ein Loch im Boden.
Je weniger Raffinesse drin ist, desto einfacher ist es, solche Züge zu betreiben. Aber das ist nicht mehr zeitgemäss, der Kunde erwartet etwas anderes. Im Stadler-Hochgeschwindigkeitszug Giruno gibt es geschlechtergetrennte WC und ein Pissoir. Im renovierten IC2000 kann man sein Handy aufladen, indem man es auf den Tisch legt.

Auffrischung für 300 Millionen Franken

Vor 20 Jahren waren die Doppelstöcker der IC2000er-Flotte der letzte Schrei im Schweizer ÖV-Netz. Inzwischen wirken sie angestaubt. Also höchste Zeit für die SBB, die total 341 IC2000-Wagen bis 2024 zu renovieren. Heute werden die ersten aufgefrischten Waggons in Olten SO der Öffentlichkeit präsentiert. Die grösste Fahrzeug-Modernisierung in der Geschichte des SBB-Fernverkehrs läuft seit letztem Sommer und kostet rund 300 Millionen Franken. Unter anderem gibts neue Sitzpolster, neuen Teppich und moderne Handy-Aufladeflächen.

Vor 20 Jahren waren die Doppelstöcker der IC2000er-Flotte der letzte Schrei im Schweizer ÖV-Netz. Inzwischen wirken sie angestaubt. Also höchste Zeit für die SBB, die total 341 IC2000-Wagen bis 2024 zu renovieren. Heute werden die ersten aufgefrischten Waggons in Olten SO der Öffentlichkeit präsentiert. Die grösste Fahrzeug-Modernisierung in der Geschichte des SBB-Fernverkehrs läuft seit letztem Sommer und kostet rund 300 Millionen Franken. Unter anderem gibts neue Sitzpolster, neuen Teppich und moderne Handy-Aufladeflächen.

Wer ist von den ständigen Dosto-Pannen am meisten betroffen?
Meine lieben Rheintaler sind am ärmsten dran. Ich möchte, dass die Betroffenen dort eine Entschädigung kriegen. Zum Beispiel in Form eines Beitrags an das Streckenabo oder ans GA.

Ihr CEO Andreas Meyer schämt sich dafür, dass die SBB für massive Verspätungen nur läppische Kafi-Gutscheine verteilt. Wie wollen Sie sich bessern?
Der Wille dazu ist da. Ab einer gewissen Verspätung werden wir bereit sein, den ganzen Fahrpreis zu erstatten. Die SBB will da weitergehen als die Branche. Aber es gibt Herausforderungen: Wir wissen nicht immer, wer im Zug war. Und was macht man mit einem GA-Kunden? Wenn man dem mit einem Fünfliber kommt, findet er es schäbig. Das müssen wir diskutieren und eine gute Lösung finden.

Die SBB planen Taxidrohnen und lassen selbstfahrende Busse durch Zug kurven. Dabei funktionieren oft nicht einmal die Zug-WC. Sie setzen falsche Prioritäten.
Nein, tun wir nicht. Es ist beides wichtig. Wir wollen pünktlich, sicher, sauber unterwegs sein, die Bahn im Griff haben. Aber wir müssen auch beobachten, wie sich die Mobilität entwickelt und unsere Fühler ausstrecken. Aber dass die WC nicht funktionieren, darf natürlich nicht passieren.

Bereits 2020 wollen Sie auf den Fernverkehrsstrecken Gratis-Internet einführen. Bisher sind nur Salt und Sunrise dabei. Wieso diskriminieren Sie Swisscom-Kunden?
Das müssen Sie Swisscom fragen, sie wollte bisher nicht mitmachen. Wir wären sehr froh, machte sie auch mit. Wir sind noch im Gespräch.

Die SBB haben sich jahrelang gegen Gratis-Internet im Zug gewehrt. Erst als Sie von den BLS wegen dem Ringen um die Fernverkehrsverbindungen um Bern unter Druck kamen, haben Sie vorwärtsgemacht. Konkurrenz belebt also das Geschäft.
Konkurrenz belebt immer. Die Frage ist nur, mit wem man sich im Wettbewerb vergleicht. Ich mache das mit ausländischen Zügen, die in die Schweiz kommen, mit Luftverkehr und mit Fernbussen. Und man muss die Geschichte der Bahnen kennen, um zu sehen, warum Wettbewerb im Fernverkehr Schweiz in diesem Fall doch nicht gut ist: Die SBB wurden 1902 nach einer Abstimmung gegründet, weil das Schweizervolk es satt hatte, dass sich die verschiedenen Bahnen auf dem Buckel der Kunden gegenseitig bekriegten. Der Zürcher HB ist heute einer der interessantesten, meistbefahrenen Bahnhöfe Europas. Der wesentliche Grund, dass da alles klappt, ist, dass S-Bahnen und Fernverkehrszüge integral von den SBB betrieben werden.

Müssen Sie wirklich bis vors Bundesverwaltungsgericht, um sich mit den BLS um die Mini-Strecken Bern–Biel und Bern–Olten zu streiten?
Das Erfolgsrezept macht aus, dass der Fernverkehr als Rückgrat der Schweiz aus einer Hand geplant wird. Wir machen dabei nicht zu viel Gewinn und reinvestieren ja alles wieder ins Bahnsystem. Ein Drittel der Linien bringt Gewinn, ein Drittel kommt gerade raus, und ein weiteres Drittel ist defizitär. Es fragt sich, warum man das bewährte System aufbrechen will. Das hat nichts mit gesundem Wettbewerb zu tun. Für mich ist nicht klar, wie die Kunden davon profitieren würden.

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