«Wir suchen Dich!» Mit einem Riesenplakat wirbt die Hürzeler Schafroth AG um Aufmerksamkeit. Die Elektro- und Sicherheitstechnikfirma aus Winterthur ZH sucht verzweifelt Elektroinstallateure und Servicetechniker. Der Markt sei ausgetrocknet, sagt Geschäftsführer Stefan Danev (28). «Personal zu finden, das unsere offenen Stellen langfristig besetzt, ist bei der aktuellen Marktsituation nicht einfach.»
Es herrscht Knappheit an den gefragten Fachkräften. Nicht nur in Winterthur. In der Schweiz fehlen gegenwärtig 42'778 Handwerker! Insgesamt haben Unternehmen 198'097 freie Stellen ausgeschrieben.
Diese Zahlen stammen von der Jobchannel AG. Die Jobsuchmaschine sucht mehrmals täglich Websites von Arbeitgebern nach offenen Stellen in der Schweiz ab. «Wir können so die vollständige und repräsentative Nachfrage nach Arbeitskräften abbilden», sagt Projektleiterin Carole Kläy (30). Ihre Zahl vakanter Stellen in der Schweiz deckt sich mit jenen anderer spezialisierter Jobsuchportale in der Schweiz.
So viele ausgeschriebene Stellen wie seit Jahren nicht mehr
Die Jobchannel-Auswertung für BLICK reicht bis ins Jahr 2012 zurück. Kläy merkt an: «In diesem Jahr haben wir die höchste Zahl ausgeschriebener Handwerker-Jobs.»
Bereits seit Jahren falle auf, dass sich unter den am meisten ausgeschriebenen Jobs hauptsächlich Handwerker-Berufe befänden. Beispielsweise suchen Unternehmen derzeit fast 4000 Elektromonteure, über 2260 Sanitärinstallateure und 2143 Schreinerinnen und Schreiner. Auch fast 1900 Polymech-Jobs, je rund 1500 Maurer- und Maler-Stellen sind ausgeschrieben.
Handwerkerin und Handwerker im traditionellen Sinn ist jemand, der das ganze Arbeitsprodukt in allen Phasen selbst herstellen kann. Doch kaum einer kennt mehr einen Geigenbauer oder Korbflechter, einen Bäcker oder Käser dagegen schon eher.
Schweizerisches Handwerk geniesst einen hervorragenden Ruf. Umso mehr kann sich beim aktuellen Fachkräftemangel glücklich schätzen, wer in der Familie oder im Freundeskreis einen Handwerker hat.
Handwerker gesucht!
Trend zu Matur und Studium bremst Handwerk aus
Was ist die Ursache für die Handwerker-Knappheit? «Der Gesellschaft ist der Stellenwert der Handwerker offenbar viel zu wenig bewusst», sagt Christoph Schaer (50), neuer Direktor von Suissetec. Die in seinem Gebäudetechnik-Verband zusammengeschlossenen Branchen (Sanitär, Heizung, Lüftung, Spengler) beschäftigen 34'500 Personen. Schaer bekommt immer wieder von Mitgliederunternehmen zu hören, dass Eltern ihren Nachwuchs lieber ins Studium schicken würden als in die Berufslehre. «Das schreckt immer mehr Jugendliche von einer Lehre ab», sagt Schaer.
Der Trend zur Matur und zum Studium ist auch in der holzverarbeitenden Branche ein Thema. «Die starken Sekundarschüler und ihre Eltern bevorzugen den gymnasialen Weg oder eine Berufslehre auf dem Büro», sagt Patrik Ettlin (50) vom Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten zu BLICK.
Auch Christoph Thomann (71) nennt die Akademisierung der Gesellschaft eine gewichtige Ursache für den heutigen Mangel an Berufsleuten im Handwerk. «Gesucht sind vor allem hochqualifizierte Handwerker», so der Präsident des Zentralvorstands von Berufsbildung Schweiz. «Die Anforderungen an die Lernenden steigen in vielen Berufen, relativ wenige Jugendliche erfüllen diese auch.»
Alle reden von Digitalisierung, Handwerk geht vergessen
Das Problem? Gymnasien würden sich an die gleichen jungen Leute richten, so Thomann. «Häufig entscheiden sie sich dann gegen die Handwerker-Lehre.»
Ist der Handwerksberuf einfach nicht mehr sexy im Gegensatz zu künftig benötigten Computer basierten Jobs oder Gesundheitsberufen? «Handwerksberufe leiden heute auch unter der Digitalisierung», sagt Thomann. Der ganze Fokus gelte Computern und Robotern. «Dabei geht aber ganz vergessen, dass dahinter viel Technik und Handwerk steckt.»
Thomann sagt, er sei optimistisch fürs Handwerk. Er nimmt Unternehmen in die Pflicht. Sie sollten mehr tun, um Junge fürs Handwerk zu begeistern.
«Wir, die Gebäudetechniker, machen seit einigen Jahren gross angelegte Kampagnen, um über den Stellenwert unserer Berufe für die Gesellschaft aufzuklären», sagt Suissetec-Direktor Schaer. Dazu gehörten Social-Media-Kampagnen auf Snapchat, VR-Games auf Messen oder «sogar erste Gehversuche in der Zusammenarbeit mit Influencern».
Matthias Engel vom Schweizerischen Baumeisterverband appelliert an Bundesbern: «Es ist wichtig, dass die Politik nicht falsche Signale aussendet. Es ist wichtig, dass sie nicht nur den gymnasialen und universitären Bildungsweg fördert, sondern genauso auch die Berufsbildung.»
Lesen Sie morgen: So viel verdienen Handwerker. Und warum kaum einer mehr Bäcker werden will.
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