Früh aufstehen und kein Sozialleben?
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Drei Jahre lang früh aufstehen:Lehre beim Beck

BLICK besucht Lehrtochter Nadja Weber (17) in der Backstube
Ihre Arbeit will niemand mehr machen

In der Schweiz gibt es immer weniger Bäckerlehrlinge. Der Stand ist seit Beginn der Zählung auf einem Rekordtief. BLICK besuchte eine Lehrtochter in der Backstube und ging den Ursachen auf den Grund.
Publiziert: 03.07.2019 um 00:18 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2019 um 15:28 Uhr
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Nadja Weber (17) ist Lehrtochter im zweiten Jahr in der Erlebnis-Bäckerei Sollberger in Gontenschwil AG.
Foto: STEFAN BOHRER
Noé Waldmann und Patrik Berger

Um 3 Uhr morgens klingelt bei Nadja Weber (17) aus Gontenschwil AG der Wecker. Um 3.30 Uhr steht die Lehrtochter in der Backstube. «Am Samstag fangen wir schon um 1 Uhr an, sonst kommen wir mit der Arbeit nicht durch», sagt Weber. Dafür erhält sie im zweiten Lehrjahr 900 Franken. 

Das frühe Aufstehen, die Hitze in der Backstube und der Staub des Mehls, das ist vielen Lehrlingen zu viel. «In meiner Klasse hatten wir mehrere Lehrabbrüche, die haben das einfach nicht gepackt», sagt sie. «Ich habe mich nach kurzer Zeit daran gewöhnt und hab nun auch wieder ein Sozialleben», sagt sie und lacht.

Sie sind bei weitem nicht die Einzigen. Das zeigt ein internes Papier des Schweizerischen Bäcker-Confiseurmeister-Verbandes, das BLICK exklusiv vorliegt.

In Zürich bricht ein Drittel die Lehre ab

Kantonale Experten schildern darin ihre Probleme. «Immer weniger Junge sind bereit, am Wochenende und an Feiertagen zu arbeiten. Zudem sind sich viele nicht bewusst, dass ihnen die Lehre körperlich und geistig einiges abverlangt», heisst es aus dem Kanton Aargau. In der Stadt Basel ist es «sehr schwierig, Lernende zu finden».

Besonders kritisch ist die Situation im Kanton Zürich. Jahr für Jahr bricht jeder dritte Stift die Lehre ab. In der Ostschweiz haben 2016 29 Lehrlinge ihre Ausbildung nicht beendet. Und selbst wer die Beck-Lehre abschliesst, der wechselt danach schnell den Job, heisst es aus dem Kanton Thurgau.

20 Prozent weniger Nachwuchs

Im Kanton Graubünden haben vor allem Bäckereien in den Tälern Mühe, Nachwuchs zu finden. Und: «Junge Leute sind weniger belastbar als früher. Zudem bilden hier immer weniger Betriebe Stifte aus, weil der Aufwand zugenommen hat.» Das hat Folgen: «In absehbarer Zeit werden viele Betriebe Fachleute aus dem Ausland holen müssen», heisst es.

Schweizweit entscheiden sich immer weniger Junge für eine Beck-Lehre. Waren es 2013 noch 2095 Stifte, sind es laut dem Bundesamt für Statistik fünf Jahre später noch 1686. Das ist ein Einbruch um 20 Prozent.

Ausbildung fordert Betriebe und Lernende

«Die neue Lehre stellt höhere Anforderungen an die Betriebe und die Lernenden», sagt Urs Wellauer (55), Direktor des Bäckerverbands SBC. «Diese Ausbildung besteht man nicht ohne eine grosse Portion Leidenschaft.»

Er kritisiert: «Handwerkliche Arbeit hat ein tiefes gesellschaftliches Ansehen.» Viele Eltern versuchten, ihr Kind mit allen Mitteln durchs Gymnasium zu prügeln. «So gehen viele gute Bäcker verloren.» Klar ist: Die Branche hat ein Imageproblem. Die Lösung? «Wir erfahrenen Bäcker müssen die Leidenschaft für den Beruf vorleben und so bei den Jungen das Feuer entfachen», sagt Wellauer. Ob das reicht?

Denn nicht nur die Lehre ist bei den Jungen zunehmend unbeliebt. Schweizweit schliessen auch viele Bäckereien. Weil die Bäcker keine Nachfolger finden. Oder weil ihnen die grossen Detaillisten Kunden abjagen. «In den nächsten zehn Jahren werden noch einmal 400 Bäckereien eingehen», glaubt Wellauer. Nicht zuletzt, weil sie preislich gegen Detailhandelsriesen wie Migros, Coop und Co. keine Chance haben.

Konsumenten tragen Mitschuld

Schuld daran sind auch die Konsumenten. Sie wollen möglichst rund um die Uhr ofenfrisches Brot – ob dieses von der Tankstelle oder dem traditionellen Beck kommt, kümmert sie nicht. Heute wird in praktisch jedem Laden Brot aufgebacken. Dieses kommt aus industriellen Grossbäckereien, die kaum noch Beck-Lehrlinge einstellen.

Konkret: Bei Coop, der nach eigenen Angaben fast 70'000 Tonnen Brot und Backwaren herstellt, sind es landesweit noch zehn Beck-Lehrlinge. Bei der Migros sind es 56. In Grossbäckereien sind angehende Lebensmitteltechniker und Mechaniker, welche die Maschinen warten, mittlerweile begehrter. Sie ersetzen die Arbeit des klassischen Bäckers.

Hat der Job überhaupt noch eine Zukunft? «Ja, wer seine Nische findet, oder einen guten Standort hat, kann als Bäcker sehr viel Erfolg haben», sagt Verbandsdirektor Wellauer. Auch Lehrtochter Nadja Weber will nach der Lehre in der Backstube bleiben. Und später eine Ausbildung als Confiseurin anhängen.

Erst aber einmal macht sie nach einem anstrengenden Tag Feierabend. Und zwar schon am Mittag. «Das ist ein grosser Vorteil des Jobs, nach der Arbeit habe ich noch etwas vom Tag», sagt sie und lacht.

Sie zieht sich um und schaut noch einmal kurz in den Laden rein. «Es macht mich stolz, wenn ich am Ende des Arbeitstages meine Produkte in der Auslage sehe.» Am Abend steht eine Training im Turnverein auf dem Programm. «Das ist ein wunderbarer Ausgleich zum Job!» 

Im Ausbilden sind die Kleinen ganz gross!

Schweizer geben sich gerne als Geniesser, wissen aber wenig über ihr Brot. Hierzulande gibt es nämlich keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viel Brot landesweit produziert oder gegessen wird. Weder das Bundesamt für Statistik noch der Bäckerverband SBC haben aktuelle Zahlen zum Thema. 

Was jedoch klar gezeigt werden kann, ist, wer die Hauptlast der Ausbildung für die Bäcker übernimmt. Es sind durchs Band kleine und mittlere Unternehmen (KMU). 

Aldi, Lidl, Hiestand und Bretzelkönig-Mutter Valora bilden zusammen keinen einzigen Bäckerlehrling aus. Coop schafft es immerhin auf zehn. Die Migros führt die Grossen mit 67 Lehrlingen an. Zusammen bringen diese Konzerne aber keinen 5 Prozent der Lehrlinge im Land das Handwerk bei. Die grossen Akteure auf dem Brotmarkt bilden also nur wenige Bäcker aus. 

Am Rückgang der Bäckerlehrlinge sind aber nicht die Grossisten schuld. Vielmehr sind es die Veränderungen des Konsumverhaltens. Ofenwarm, günstig und jederzeit verfügbar soll die Ware sein.

Aber wenn beim Kauf nur der Preis und die Wärme der Ware ausschlaggebend sind, haben die traditionellen Bäcker schon verloren. Egal ob Gipfeli, Pfünderli oder Sandwich: Über den Tag aufgebackene Teiglinge aus der Fabrik sind deutlich günstiger zum Verkaufen als die handgefertigte Ware aus der Backstube.

Schweizer geben sich gerne als Geniesser, wissen aber wenig über ihr Brot. Hierzulande gibt es nämlich keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viel Brot landesweit produziert oder gegessen wird. Weder das Bundesamt für Statistik noch der Bäckerverband SBC haben aktuelle Zahlen zum Thema. 

Was jedoch klar gezeigt werden kann, ist, wer die Hauptlast der Ausbildung für die Bäcker übernimmt. Es sind durchs Band kleine und mittlere Unternehmen (KMU). 

Aldi, Lidl, Hiestand und Bretzelkönig-Mutter Valora bilden zusammen keinen einzigen Bäckerlehrling aus. Coop schafft es immerhin auf zehn. Die Migros führt die Grossen mit 67 Lehrlingen an. Zusammen bringen diese Konzerne aber keinen 5 Prozent der Lehrlinge im Land das Handwerk bei. Die grossen Akteure auf dem Brotmarkt bilden also nur wenige Bäcker aus. 

Am Rückgang der Bäckerlehrlinge sind aber nicht die Grossisten schuld. Vielmehr sind es die Veränderungen des Konsumverhaltens. Ofenwarm, günstig und jederzeit verfügbar soll die Ware sein.

Aber wenn beim Kauf nur der Preis und die Wärme der Ware ausschlaggebend sind, haben die traditionellen Bäcker schon verloren. Egal ob Gipfeli, Pfünderli oder Sandwich: Über den Tag aufgebackene Teiglinge aus der Fabrik sind deutlich günstiger zum Verkaufen als die handgefertigte Ware aus der Backstube.

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