Russische Soldaten packen aus
«Kommandanten nahmen Schmerzmittel ein, um high zu werden»

Es geht übel zu in der russischen Armee. Wie schlimm es wirklich ist, davon berichten drei Soldaten. Über fehlenden Proviant, defekte Munition und Kommandanten, die ihren Schmerz betäuben.
Publiziert: 07.07.2023 um 18:40 Uhr
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Aktualisiert: 07.07.2023 um 19:30 Uhr
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Die Zustände in der russischen Armee scheinen übel. Davon berichten drei Soldaten, die am Ende kapitulierten und nun in der Ukraine im Gefängnis sitzen.
Foto: keystone-sda.ch

Während Wladimir Putin (70) sich als unantastbar darstellt und verschanzt, sind es seine Soldaten, die an der Front ihr Leben lassen. Und die russische Armee scheint in einem desolaten Zustand. In einem Interview mit dem US-Sender CNN berichten drei Soldaten, wie schlimm das Leben an der Front wirklich ist.

Sergej B.* ist Vertragssoldat und hat seinen sechsmonatigen Dienst in Cherson abgesessen. Doch als er wieder nach Hause kam, sagte man ihm, er müsse erneut an die Front. Die andere Möglichkeit: Knast. Kurze Zeit später wurde er in Bachmut stationiert. Was er dort zu sehen bekam, schockiert ihn: «Unter dem ständigen ukrainischen Feuer brach die Disziplin zusammen, die Beamten flohen, alle Illusionen wurden zerstört. Es war anders, als das, was ich im Fernsehen gesehen habe – eine Parallelwelt. Ich habe bei meinen Kommandanten Angst, Schmerz und Enttäuschung gespürt».

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«Unsere Artillerie funktionierte wie immer nicht»

B. kapitulierte bei einem Angriff der Ukrainer, nachdem sein Kommandant geflohen war. «Unsere Artillerie funktionierte wie immer nicht. Dann haben wir es mit Raketenwerfern versucht, aber sie verfehlten immer wieder. Ich hörte die Ukrainer auf uns zukommen und fing an, ‹Wir kapitulieren› zu rufen», so der Russe weiter zur CNN. Erst, nachdem er zwei Granaten haarscharf entkommen war, verstanden die ukrainischen Soldaten ihn.

Sie trugen ihn in ein Feldlazarett und leisteten Erste Hilfe. Später wurde er in ein ukrainisches Gefängnis gebracht, wo er sich aktuell befindet. Die Ukrainer hoffen, ihn gegen ukrainische Soldaten, die in Russland gehalten werden, auszutauschen. B. hofft, daraufhin aufgrund seiner Verletzungen nach Hause geschickt zu werden.

Häftlinge nach zweiwöchiger Ausbildung an der Front

Auch Anton G.* und Slava S.* wurden in Bachmut stationiert. Anders als B. sind sie keine Vertragssoldaten, sondern Häftlinge. Beide sassen wegen Drogendelikten im Gefängnis. Ihnen wurde versprochen, dass sie freikommen würden, wenn sie sechs Monate Militärdienst leisten.

Also meldeten sie sich für den Krieg. Beide geben laut CNN an, dass ihre einzige Informationsquelle zum Krieg die russischen Staatsmedien waren. Nach einer zweiwöchigen Ausbildung ging es direkt an die Front – zum Erstaunen der Männer. S. zum TV-Sender: «Wir dachten, wir würden die Verteidigungslinie halten, wie es uns versprochen wurde. Uns wurde gesagt, dass Wagner an den aktiven Feindseligkeiten beteiligt wäre. Und dass wir diejenigen sein würden, die in den befreiten Gebieten stationiert wären».

«Ich wollte mich selbst erschiessen»

Genau wie B. kapitulierten sie am Ende in Bachmut und sitzen nun in der Ukraine im Gefängnis. Vor Angst, gefoltert zu werden, zog G. in Erwägung, sich umzubringen. «Ich dachte, das wäre das Ende. Ich stellte das Gewehr auf Einzelschussmodus um und wollte mich selbst erschiessen. Aber ich konnte nicht.»

Stattdessen habe er einem ukrainischen Soldaten gesagt: «Du tötest uns besser». Dieser habe geantwortet: «Wer hat dir gesagt, dass wir dich töten? Wir töten nicht, schneiden keine Kehlen vor der Kamera durch, wie Russen es in ihren Videos tun.»

Kommandanten waren high von Schmerzmitteln

Wie auch B. erzählen die beiden Gefangenen von miserablen Zuständen an der Front. «Das Essen war knapp, wir hatten keine medizinische Ausrüstung. Unsere Kommandanten nahmen Schmerzmittel ein, um high zu werden, und erteilten daraufhin unsinnige Befehle. Die Moral war schrecklich», berichtet S. weiter. Zudem habe es Zugang zu Wasser und Nahrung nur über einen fünf Kilometer langen Weg über Minenfelder gegeben. Also tranken Soldaten lieber Regenwasser.

Was mit G. und S. passiert, ist unklar. Womöglich erwartet sie für die Kapitulation in Russland eine mehrjährige Haftstrafe – sollten sie es dorthin schaffen. Der Leiter des Gefängnisses, in dem die Männer gehalten werden, erklärt gegenüber CNN: «Für die russische Regierung sind Sträflinge – im Gegensatz zu leidenschaftlichen Soldaten – nicht viel wert». Alle drei Soldaten werden nun erst einmal dem ukrainischen Geheimdienst übergeben. Was danach passiert, ist unklar. (mrs)

*Namen geändert

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