Atom-Experte warnt vor Sprengsätzen am AKW Saporischschja
«Möglicherweise deutlich katastrophaler als Fukushima»

Russland soll einen Anschlag auf das AKW Saporischschja planen – mit eigens dafür gesetzten Sprengsätzen. Die Angst vor einem Unglück steigt. Experten erklären die Risiken eines nuklearen Unfalls in Europas grösstem AKW.
Publiziert: 05.07.2023 um 18:30 Uhr
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Aktualisiert: 05.07.2023 um 21:12 Uhr
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Russland soll einen Angriff auf das AKW Saporischschja planen.
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Erneut rückt das Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine in den Fokus: Moskau und Kiew werfen einander vor, einen Anschlag auf das AKW geplant zu haben. Am Dienstagabend schlug Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski (45) in seiner täglichen Videoansprache Alarm: «Wir haben jetzt von unserem Geheimdienst die Information, dass das russische Militär auf den Dächern mehrerer Reaktorblöcke des AKW Saporischschja Gegenstände platziert hat, die Sprengstoff ähneln.»

Die Russen haben vier von sechs Reaktorblöcken mit Sprengsätzen versehen, so Kyrylo Budanow (37), Chef des ukrainischen Geheimdienstes, am Dienstag. Diese Angaben lassen sich aktuell nicht unabhängig verifizieren. Was passiert, wenn es tatsächlich zu einem Vorfall am AKW kommt, weiss Wolfgang Raskob, Kerntechnik-Experte am Karlsruher Institut für Technologie. Gegenüber Blick erklärt er: «Wenn Sprengsätze auf den Reaktorblöcken angebracht wurden, dann kann damit die Betonhülle der Anlagen zerstört werden. Damit ist noch nicht gesagt, dass der Stahlmantel um den Reaktorkern beschädigt würde.»

Wie schlimm ist ein GAU in Saporischschja?

Zwar sind aktuell alle sechs Reaktoren heruntergefahren und es ist nicht so viel Kühlung erforderlich wie im Normalbetrieb. Aber: Informationen des ukrainischen Geheimdienstes zufolge soll auch das Kühlbecken vermint worden sein. Wenn auch dieses beschädigt würde, so wäre das für Raskob das schlimmste Szenario: Die totale Zerstörung der Infrastruktur, die die Reaktoren kühlt. «Wenn die Kühlung nicht mehr möglich ist, dann ist das Risiko gegeben, dass es zu einer Kernschmelze kommen kann», warnt er. «Wenn alle sechs Anlagen betroffen wären, wäre das möglicherweise deutlich katastrophaler als Fukushima.»

Die beiden Kriegsparteien werfen sich immer wieder Sabotage des AKW vor. Dieses Mal wirkt aber vieles anders. Nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes haben russische Soldaten und Mitarbeitende der russischen Atombehörde Rosatom bereits das Weite gesucht. Die Mitarbeitenden, die sich noch im besetzten AKW befinden, müssen dieses bis Montag verlassen.

Entmilitarisierte Zone «unbedingt notwendig»

Gerhard Mangott (56), Militärexperte an der Uni Innsbruck, gibt im Gespräch mit Blick teilweise Entwarnung. Warum kommt es aber ausgerechnet um das AKW immer wieder zu riskanten Situationen? Aus Propaganda-Gründen, so Mangott. Beide Seiten haben damit dasselbe Ziel: Den Westen davon zu überzeugen, dass der jeweils andere ein solch grosser Bösewicht ist, dass er sogar eine nukleare Katastrophe in Kauf nimmt, um seine Ziele zu erreichen. «Diese Urangst der Menschen vor einer nuklearen Verseuchung – damit spielen beide Seiten, da sie leicht hervorzurufen ist.»

Einen GAU (grösster anzunehmenden Unfall) sieht er nicht auf Saporischschja und die Ukraine zukommen. Um einen atomaren Unfall – ob absichtlich oder nicht – zu vermeiden, sei es laut Mangott unbedingt notwendig, eine entmilitarisierte Zone rund um das AKW zu schaffen. Das fordert auch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) seit Monaten. Eingeführt haben die beiden Kriegsparteien diese allerdings noch nicht.

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