Es sind verstörende Vorfälle, die der Bund in seinem neuesten Rassismusbericht auflistet: Schülerinnen und Schüler, die schwarze Jugendliche im Geräteraum einsperren und sie rassistisch beschimpfen. Ein Unbekannter, der eine Muslima auf offener Strasse würgt, oder ein Passant, der in der Nähe einer Bushaltestelle einen Mann mit dem N-Wort beleidigt und ihn dann ins Koma prügelt.
876 Diskriminierungsfälle hat das Beratungsnetz für Rassismusopfer im Jahr 2023 dokumentiert und ausgewertet. Im Schnitt ist das ein Übergriff alle zehn Stunden. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher.
Brennpunkt Schule
Der noch unveröffentlichte Bericht der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) und des Vereins humanrights.ch liegt Blick vor. Daraus geht hervor: Die meisten Vorfälle ereigneten sich im Bildungsbereich, am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum. Am häufigsten betroffen waren, wie schon in den Jahren zuvor, Schwarze. Dahinter folgen Muslime und Menschen aus dem arabischen Raum. Meist blieb es bei Drohungen, Beschimpfungen oder schwerer Benachteiligung. In 79 Fällen war aber auch Gewalt im Spiel.
So wie beim Fall bei der Bushaltestelle: Der 56-Jährige wurde im November in Freiburg von hinten niedergeschlagen und lag mehrere Tage im Koma. Er erlitt Knochenbrüche, fünf davon im Gesicht. Auch sein Gehirn wurde beim Angriff verletzt. Mittlerweile geht es ihm besser. Die Attacke wurde in den Medien zwar vermeldet, dass sie aber mutmasslich einen rassistischen Hintergrund hatte, war bisher nicht bekannt. Die Ermittlungen laufen.
Zunahme wegen Nahostkonflikt
Die Zunahme der Fälle um 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr führen die Verfasserinnen und Verfasser des Berichts auf eine gestiegene Sensibilität und auf gesellschaftliche Ereignisse im 2023 zurück. Der Krieg im Nahen Osten etwa habe «rassistische und antisemitische Dynamiken in der Gesellschaft verstärkt». Zudem kam es im Rahmen von Wahlkampagnen zu diskriminierenden Äusserungen und Illustrationen.
Besorgniserregend ist laut dem Report auch, dass die Zahl der Vorfälle im Bildungsbereich zunimmt. Der Bericht listet diverse Übergriffe an Schulen auf. Während eines Geburtstagssingens im Klassenkreis wurde demnach ein Mädchen mit einem rassistischen Lied mit Tiervergleichen beleidigt. Die Lehrperson reagierte erst, als die Beratungsstelle sich um den Fall kümmerte.
In einem anderen Fall wendete sich eine Mutter an eine Beratungsstelle. Sie berichtete, dass ihr Sohn seit der ersten Klasse von Mitschülerinnen und Mitschülern geschlagen, an den Haaren gezerrt und rassistisch beleidigt wird. Weder die Lehrperson noch der Schulsozialarbeiter hätten auf die Vorkommnisse reagiert. Der betroffene Bub litt stark unter den psychischen Folgen, er erbrach sich beinahe täglich.
«Die vielen Fälle sind bedenklich»
Rassismus-Brennpunkt Schule – im Vorwort des Berichts äussert sich Ursula Schneider Schüttel, die neue Präsidentin der Antirassismus-Kommission: Die vielen Fälle im Bildungsbereich seien «bedenklich». «Gerade die Schule sollte derjenige Ort sein, an dem Kinder und Jugendliche vor jeglicher Diskriminierung geschützt sind», schreibt sie. Wir müssten uns deshalb fragen, welche Verantwortung die Bildungsinstitutionen bei der Sicherstellung einer diskriminierungsfreien Lernumgebung tragen und was es braucht, damit sie dieser Verantwortung gerecht werden können. «Ein wichtiger Schritt in Richtung rassismuskritische Schule wäre die explizite Verankerung des Themas Rassismus in den Lehrplänen und die damit verbundene Weiterbildung der Lehrpersonen.»
Die EKR-Präsidentin spricht im Vorwort zudem ausländerfeindliche Polit-Propaganda im Wahljahr an. Es sei auffallend, dass 2023 eine grosse Anzahl an Meldungen zu «rassistischen Kampagnen» eingegangen sei. Die Beratungsstellen hätten eine breite Empörung darüber in der Bevölkerung gespürt.