Kirchenmänner kommen ungeschoren davon
Akte der Schande enthüllt Missbrauch in Kloster

Ein Walliser Mönch fotografierte nackte Jungs mit Lendenschutz. Ein anderer griff Schülern in den Hosenlatz. Die Staatsanwaltschaft im Wallis bringt schockierende Fälle ans Licht – doch alle sind verjährt.
Publiziert: 17.10.2024 um 21:21 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2024 um 17:10 Uhr
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Die Abtei von Saint-Maurice steht in der Kritik: Hier sind viele Kinder und Jugendliche sexuell belästigt worden.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Täter bleiben unbestraft, da Taten verjährt oder zu geringfügig sind
  • Im Dachstuhl des Klosters St-Maurice gab es ein Fotostudio – mit unangenehmen Shootings
  • Das jüngste Opfer war 4 Jahre alt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Vor der Abtei von Saint-Maurice VS ist ein Gerüst montiert. Zwei Arbeiter renovieren die Fassade. Doch was die Generalstaatsanwältin des Kantons Wallis am Donnerstag mitteilt, kann niemand beschönigen: Die katholische Kirche hat auch im Wallis jahrzehntelang Kinder und Jugendliche missbraucht. 

Für die Opfer besonders verletzend: Die Täter werden nicht zur Rechenschaft gezogen. Die gemeldeten Taten sind alle verjährt – oder sie waren aus Sicht des Strafrechts zu geringfügig oder wurden nicht rechtzeitig angezeigt. Generalstaatsanwältin Béatrice Pilloud (49) sagt im Gespräch mit Blick: «Das heisst nicht, dass nichts passiert ist.» Die Betroffenen litten nach wie vor unter dem Schmerz und der Wut über die Kirche, die nichts unternommen habe. «Die Betroffenen wünschen, dass Licht ins Dunkel gebracht wird und diese unerträglichen Handlungen nicht mehr vorkommen.»

Sündenregister voller Abgründe

Der Bericht gleicht einem Sündenregister voller Abgründe. Ein Ordensmann soll einen Jugendlichen mit dem Auto «an einen Ort mit schönem Licht» gefahren haben, um ihn zu fotografieren. So steht es in der 19 Seiten langen Einstellungsverfügung. «Der Ordensmann bat den Jugendlichen, sein Oberteil auszuziehen, um ihn mit nacktem Oberkörper zu fotografieren.» Schrieb der Schüler schlechte Noten, gab es Schläge mit einem Stock auf den Hintern. Ein anderer Zeuge berichtet, ein Chorherr habe ihn gebeten, während eines Ferienlagers in den Wald zu gehen, «sich auszuziehen und eine Art Lendenschutz anzuziehen, um ihn zu fotografieren».

In der Abtei von Saint-Maurice soll es sogar ein Fotostudio im Dachgeschoss gegeben haben – mit professioneller Ausrüstung. Ein Zeuge sagte, die Fotoshootings seien unangenehm gewesen. War das klösterliche Fotostudio gar ein Tatort für Pädo-Bilder? Laut der Generalstaatsanwältin lässt sich diese Frage nicht beantworten, weil während der Ermittlungen keine Fotos aufgetaucht seien.

Spitznamen «Bruder Schwuchtel»

Ein Arzt gab zu Protokoll, er sei als junger Assistenzarzt von einem Domherr aufgefordert worden, sich bis auf die Unterhosen auszuziehen. Ein anderer berichtete von einem «alten, kleinen Mönch», der ihn am Hosenlatz packte. Die Staatsanwaltschaft schreibt: «Der Mönch trug den Spitznamen Bruder Schwuchtel.» Ein katholischer Gesangslehrer soll einem Kind pornografische Bilder gezeigt haben. Der Pfarrer bat die Mutter, keine Anzeige zu erstatten.

Nicht alle Gottesmänner interessierten sich für männliche Kinder und Jugendliche. Auch Mädchen und junge Frauen wurden belästigt. «Deine Brüste sehen aus wie Hügel», sagte demnach ein Geistlicher zu einem Mädchen. Ein anderer Chorherr wird beschuldigt, die Mädchen beim Duschen beobachtet zu haben.

Das jüngste Opfer war 4 Jahre alt

Anlass für das Vorverfahren der Walliser Staatsanwaltschaft war ein Bericht von Blick, der Vorwürfe gegen Schweizer Bischöfe enthüllt hatte, sowie eine Pilotstudie der Uni Zürich zum katholischen Missbrauchskomplex. Die Studie ergab landesweit über 1000 Fälle von sexuellem Missbrauch.

Ziel der Untersuchungen im Wallis war es herauszufinden, ob es mögliche Straftaten gibt, die nicht verjährt sind oder bereits behandelt wurden. Laut der Generalstaatsanwältin zeigten im letzten Jahr 25 Personen 32 strafbare Taten an. Die Betroffene waren zur Tatzeit zwischen 4 und 37 Jahren alt. Die Staatsanwaltschaft konnte 20 potenzielle Täter identifizieren. Sieben von ihnen sind verstorben, drei wurden von mehreren Personen wegen unterschiedlicher Handlungen beschuldigt. Und in elf Fällen konnten die Geistlichen nicht identifiziert werden.

Anders als das staatliche Recht kann das Kirchenrecht die Verjährung aufheben. Das heisst: Den Tätern, die noch am Leben sind, könnte nun ein kircheninterner Prozess gemacht werden. Doch wie es weitergeht, ist unklar. An diesem Donnerstag schweigen die Klostermauern in Saint-Maurice und im ganzen Wallis. Auch die Schweizer Bischofskonferenz wollte sich gegenüber Blick nicht äussern.

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