Im Bahntunnel bröckelt der neue Beton
Fiasko am Lötschberg

Die Sanierung der Bahnstrecke im Wallis droht zum Debakel zu werden: Der eingebaute Beton an der Fahrbahn hat Risse. Hinter den Kulissen zoffen sich Bund, Bahn und Bauunternehmen. Bereits jetzt kostet die Tunnelerneuerung 180 statt 105 Millionen Franken.
Publiziert: 25.08.2024 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 27.08.2024 um 11:01 Uhr
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Die Schotterfahrbahn wird durch ein Betontrassee ersetzt.
Foto: BLS

Auf einen Blick

  • Beton im Lötschberg-Tunnel bröckelt und weist Risse auf.
  • Juristen streiten über Verantwortlichkeiten und mögliche Sanierungskosten.
  • Kosten der Sanierung stiegen von 105 auf 180 Millionen Franken.
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Die Ingenieure wussten nach ihrer Entdeckung sofort: Das darf nicht sein. Vor wenigen Wochen stiessen sie während einer Kontrolle bei der Sanierung des rund 15 Kilometer langen Lötschberg-Bahntunnels zwischen Kandersteg (BE) und Goppenstein (VS) auf ein potenzielles Desaster: Der neue Beton an der Fahrspur weist bereits Risse auf und bröckelt. Die Experten vermuten, dass eingelaufenes Schwefelwasser das Trassee beschädigt hat.

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Damit wird die unrühmliche Geschichte der Sanierung des 110-jährigen Scheiteltunnels um ein Kapitel reicher. Dabei ist die Strecke von nationaler Bedeutung: Der Durchgang verbindet das Mittelland mit dem Wallis und wird auch für den Autoverlad und Güterverkehr genutzt. Seit 2018 wird das Schottergleis durch eine Betonfahrbahn ersetzt. Nach ursprünglichem Plan hätten die Arbeiten 105 Millionen Franken kosten und Ende 2023 abgeschlossen sein sollen. Doch die ausführende Tunnelbaufirma Marti und die Bahnbetreiberin BLS hatten bereits vor einem Jahr bekannt gegeben, dass die Sanierung 180 Millionen kosten werde. Marti hatte hohe Nachforderungen gestellt und unvorhergesehene Schwierigkeiten im Berg sowie Wassereinbrüche verursachten weitere Mehrkosten. Die Inbetriebnahme stellte die BLS für Ende 2024 in Aussicht. Zudem beauftragte sie für den letzten, 1,5 Kilometer langen Abschnitt im Süden des Tunnels eine andere Firma mit der Auswechslung der Fahrspur, weil die BLS offensichtlich unzufrieden war mit Marti.

Juristen streiten

Seit die Risse und Abbröckelungen im Beton festgestellt wurden, beraten Fachleute, wie die Schäden ohne Gesamtreparatur und immense Zusatzkosten behoben werden können; und Juristen des Bundesamts für Verkehr (BAV) – der Bund bezahlt die Bahninfrastruktur –, der Bahngesellschaft BLS sowie der Tunnelbau-Gesellschaft Marti streiten seither darüber, wer das neue Problem verantwortet. Ein Streitpunkt ist laut Insidern, ob der verwendete, nun bröckelnde Beton den in der Ausschreibung des Auftrags verlangten Anforderungen entspricht oder ob ungenügender Baustoff eingesetzt wurde. Weiter stellt sich die Frage, ob die Probleme wegen des Schwefels im Wasser einkalkulierbar gewesen wären.

Das BAV äussert sich mit Verweis auf die andauernden Gespräche nicht zu den neuen Schwierigkeiten im Lötschberg, und die Tunnelbaufirma Marti antwortet auf die gestellten Fragen ebenfalls nicht: «Diese stehen im Kontext einer zurzeit laufenden Diskussion mit der Bauherrin BLS.» Diesen Dialog wolle man nicht über die Medien fortsetzen, hält ein Sprecher fest.

Unklare Konsequenzen

Wie dramatisch die Schäden sind und welche Folgen sie nach sich ziehen, ist noch nicht absehbar. BLS-Sprecher Colin Cuvit betont, dass nur auf einer ganz kurzen Strecke im Nordportal sichtbare Mängel vorhanden seien: «Auf einer Länge von 50 Metern weist der Beton Risse und Abbröckelungen an der Oberfläche auf», sagt Cuvit. Er betont, dass die Sicherheit gewährleistet sei. «Dafür wurden Stangen installiert, um die Spurweite der Fahrbahn zuverlässig beizubehalten.»

Gotthardtunnel bald wieder in Betrieb

Am 2. September ist der Gotthard-Basistunnel vollständig befahrbar, dann wollen die SBB den Bahnbetrieb im gewohnten Umfang aufnehmen, die Züge müssen nicht mehr über die Panoramastrecke umgeleitet werden – und die Reisezeit von Zürich nach Lugano beträgt wieder weniger als zwei Stunden.

Seit der Entgleisung eines Güterzugs in der Weströhre vor knapp über einem Jahr musste die Bahn ihren Fahrplan anpassen, da sie den 57 Kilometer langen Basistunnel wegen Reparaturarbeiten teilweise nicht mehr nutzen konnten.

Wie die SBB vor wenigen Tagen mitteilte, seien Testfahrten erfolgreich abgeschlossen worden. Nun brauche es für den fahrplanmässigen Betrieb sämtlicher Reise- und Güterzüge durch den Gotthardtunnel nur noch die Freigabe des Bundesamts für Verkehr.

Am 2. September ist der Gotthard-Basistunnel vollständig befahrbar, dann wollen die SBB den Bahnbetrieb im gewohnten Umfang aufnehmen, die Züge müssen nicht mehr über die Panoramastrecke umgeleitet werden – und die Reisezeit von Zürich nach Lugano beträgt wieder weniger als zwei Stunden.

Seit der Entgleisung eines Güterzugs in der Weströhre vor knapp über einem Jahr musste die Bahn ihren Fahrplan anpassen, da sie den 57 Kilometer langen Basistunnel wegen Reparaturarbeiten teilweise nicht mehr nutzen konnten.

Wie die SBB vor wenigen Tagen mitteilte, seien Testfahrten erfolgreich abgeschlossen worden. Nun brauche es für den fahrplanmässigen Betrieb sämtlicher Reise- und Güterzüge durch den Gotthardtunnel nur noch die Freigabe des Bundesamts für Verkehr.

Mit Experten untersuche die BLS nun die Ursachen für die Schäden an der Fahrbahn. Diese sei 2021 und 2022 eingebaut worden. Zu den Abklärungen gehöre auch die Analyse, wie das Wasser im Berg und der Beton zusammengesetzt seien. Cuvit hält fest: «Noch ist unklar, was genau saniert werden muss und welche Kosten damit verbunden sein werden.» Bis im Oktober soll die Prüfung abgeschlossen sein. «Dann werden wir die notwendigen Schritte zur langfristigen Behebung der Schäden einleiten», gibt Cuvit bekannt.

Arbeiten am Lötschberg sorgen zum wiederholten Mal für Negativschlagzeilen: So starben seit 2018 Tausende von Forellen im Blausee. Ob ein naher, verunreinigter Steinbruch, kontaminierter Baustellen-Schotter oder andere giftige Stoffe die Ursache sind, ist bisher nicht geklärt.

Längere Lebensdauer

Während der seit 2018 andauernden etappenweisen Gleiserneuerung im alten Lötschbergtunnel hielt die BLS den Bahnbetrieb aufrecht, reduzierte nur je nach Saison den Fahrplan für den Autoverlad. Die neue Betonfahrbahn soll gegenüber dem Schottertrassee eine längere Lebensdauer haben, weniger Erschütterungen erzeugen und im Unterhalt günstiger sein. Die nun ersetzten Gleise waren rund 50 Jahre alt. Unter dem alten Scheiteltunnel führt der knapp 35 Kilometer lange Neat-Baistunnel von Frutigen BE nach Raron VS durch den Lötschberg. Diese Strecke wurde 2007 eröffnet.

Was die Sanierungsarbeiten im alten Lötschbergtunnel betrifft, scheint wenigstens im 1,5 Kilometer langen, neu vergebenen Südabschnitt keine böse Überraschung aufzutreten. Da laufe es «plangemäss», sagt BLS-Sprecher Colin Cuvit.

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