«Es ist unmöglich, eine Frau zu sein»
Nach «Faschistin» muss Barbie weinen

Von der Puppe zum Phänomen: Die blonde Plastikheldin scheitert im Film grandios an der Realität – und hilft einer gender-verunsicherten Gesellschaft bei der Selbsttherapie.
Publiziert: 23.07.2023 um 01:05 Uhr
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Aktualisiert: 23.07.2023 um 08:12 Uhr
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Tod und Cellulitis: Ryan Gosling als Ken und Margot Robbie als Barbie auf dem Weg in die Freiheit.
Foto: keystone-sda.ch
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Ganze Generationen haben ihren Töchtern verboten, mit ihr zu spielen. Die Puppe mit den unnatürlich langen Beinen, den viel zu schmalen Hüften und dem Body-Mass-Index eines indischen Bettelmönchs galt gemeinhin als reaktionäres Role Model, als amerikanische Vorbotin aller Mädchenprobleme, von Minderwertigkeitskomplex bis Magersucht.

Und jetzt das: Mit dem «Barbie»-Film wird die umstrittene Figur aus dem 20. Jahrhundert zum Sommerhit, ja zum kulturellen Schlüsselereignis unserer Tage. In den US-Kinos spielte der Streifen allein am ersten Wochenende schätzungsweise 100 Millionen Dollar ein. Der Globus erstrahlt in Pink. Die unterschätzte Blondine markiert geradezu eine neue kopernikanische Wende: Die Welt dreht sich um Barbie, nicht umgekehrt.

Der Hype lässt sich nicht nur mit dem omnipräsenten Marketing erklären – dieser Film stillt ein Bedürfnis. Unsere Gesellschaft hat punkto Gleichstellung, Gender und Feminismus gerade viel zu verdauen. Die Gegenwart steckt in einer identitätspolitischen Orientierungskrise. Der «Barbie»-Film hilft offensichtlich dabei.

Hochglanz-Harmonie

Der erste Schauplatz der Handlung ist – natürlich – die rosarote Barbie-Welt, wo unsere Heldin (genial: Margot Robbie, 33) und ihre Freundinnen Partys feiern und sich als Ärztinnen, Anwältinnen, Präsidentinnen und Nobelpreisträgerinnen verwirklichen. Work-Life-Balance? Burn-out? Karriereknick? Alles Fremdwörter hier, alles «plastic fantastic». Regisseurin Greta Gerwig (39) karikiert damit unübersehbar auch den heutigen High-Heels-Feminismus, für den eine moderne Frau eine Superwoman zu sein hat, die sich auf Linkedin als Unternehmerin oder Führungskraft im 120-Prozent-Pensum präsentiert, nebenbei drei Kinder aufzieht und parallel dazu an touristischen Hotspots im Infinitypool posiert. Zwischen Modeboutiquen, Conference Calls und Kinderzimmer herrscht Hochglanz-Harmonie.

Diese Fassade bekommt ein erstes Mal Risse, als Barbie an einer Party lauthals über ihre Sterblichkeit nachdenkt – peng! Da herrscht plötzlich Stille. In Barbies asexuellem Schlaraffenland sind Alter und Vergänglichkeit ein Tabu – dabei ist doch die Erinnerung an das eigene Ende ein geradezu archaisches Drama, zumal die Sehnsucht nach der Überwindung des Todes doch schon das Leitmotiv der ältesten überlieferten Geschichte der Menschheit ist, des Gilgamesch-Epos. Überhaupt richtet Gerwig hinter der soften Fassade mit der grossen kulturhistorischen Kelle an. Das zeigt sich schon in der Anfangsszene beim Schnitt von der altmodischen Puppe zur Barbie – Gerwigs charmanter Gruss an Stanley Kubricks «A Space Odyssey».

Es gibt in der Barbie-Welt aber noch Schlimmeres als den Tod, genau: Cellulitis! Auf der Suche nach einem Rezept dagegen verlässt die Plastikheldin ihr Habitat und landet irgendwann im echten Leben. Begleitet wird sie vom heimlichen Star der Story, dem von Ryan Gosling wunderbar verkörperten Ken. Als geschlechtsloser Begleiter und blondierter Unterhund («Sie ist alles, er ist nur Ken») wird Ken zum Leidensgenossen aller aalglatten Kerle, die in der Lifestyle-Hölle zwischen Barbershop und Männermode gefangen sind. Esther Vilar (87) hatte mit dem «Dressierten Mann» schon mal vorgespurt.

Ein Film, ein Kernsatz

In dieser realen Welt aber haben beide, Barbie und Ken, ihr Erweckungserlebnis: Barbie wird von einem aufmüpfigen Teenager-Girl als «Faschistin» beschimpft und bricht in Tränen aus. Woher sollte sie denn wissen, dass sie hier nicht nur Freunde hat? Später muss sie bitter erfahren, was es heute wirklich heisst, der weiblichen Rolle in der Gesellschaft gerecht zu werden. «Es ist unmöglich, eine Frau zu sein», stellt sie ernüchtert fest. Vielleicht ist das der Kernsatz des Films.

Ken wiederum sieht da draussen, dass auch ein Patriarchat möglich ist. «Männer regieren die Welt!», ruft er entzückt nach seinem Ausflug in die Wirklichkeit. Dort wird die Barbie-Firma Mattel von einem trotteligen Männerklub geführt. So viel Selbstironie eines Milliardenkonzerns – das kann nur Amerika.

Zurück in der Barbie-Welt erbaut Ken sein «Mojo-Dojo Casa-Haus» und möchte sich von Barbies Joch entledigen. Der Film erzählt auch von Kens therapeutischem Selbstfindungstrip – bis zum spektakulären Ende.

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