Kuhmelker! Ein Wort, das im Mittelalter auf die Ehre des Schweizers zielte. Denn Kühe melken war Sache der Frau. Ein Mann, der molk, also ein Weib. Das wiederum eine Beleidigung. Nun, die Zeiten ändern sich. Heute melkt die Maschine, und die grösste Beleidigung für die Schweizer Landwirte ist: Giftbauer!
Giftbauer? Bauer und Bäuerin tragen Trachten, wahren Tradition. Damals, als die Faschisten unser Land bedrohten, wurde das Bauerntum zum zentralen Bezugspunkt unserer Identität. Geistige Landesverteidigung: Schweizer Art ist Bauernart. Wir alle waren damals Bauer und Bäuerin. Zumindest im Herzen. Warum also sieht ein wachsender Teil der Bevölkerung die Bauern heute als Minderheit? Darüber hinaus noch als eine, die unsere Umwelt verschmutzt? Wie ist es so weit gekommen?
Die Wahrheit ist: Bei den Pestiziden hatten wir Schweizer schon immer die Nase vorn. Sogar einen Nobelpreis heimsten wir 1948 dafür ein. Genauer der Solothurner Chemiker Paul Hermann Müller. Er fand heraus, dass der Wirkstoff DDT Schädlinge tötet. Als Wundermittel gegen den Welthunger wurde seine Entdeckung angepriesen. Und tatsächlich, die Produktivität steigerte sich. Es war der Startschuss für die industrielle Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen. Endlich hatte der Mensch den Schädlingen etwas entgegenzusetzen. Und tat es. Nachdem weltweit zwei Millionen Tonnen DDT in die Umwelt gebracht worden waren, zeigte sich: Das Zeug hat massive Nebenwirkungen. In den 70er-Jahren wurde es vom Markt genommen. Mittlerweile war allerdings schon ein ganzes Arsenal an Mittelchen erfunden worden, die den Bauern das Leben erleichtern. Doch es war stets das Gleiche: neues Pestizid, grosse Freude, schwere Nebenwirkungen, Verbot. In der Schweiz sind bisher rund 150 Wirkstoffe von Pestiziden verboten worden, weil sie sich im Nachhinein als gefährlich herausgestellt haben. Den Spitzenplatz in Sachen Pestizide haben wir Schweizer deswegen nicht verloren. Syngenta mit Sitz in Basel ist ein Konzern mit weltweiter Sprühkraft. Obwohl mittlerweile in chinesischem Besitz.
Besessen vom Boden
Ein Problem für Pestizidhersteller ist die wachsende Sensibilität der Bevölkerung für die Umwelt. Klar ist: Die Biodiversität nimmt ab. Noch nicht ganz klar, was genau das für den Menschen bedeutet, wenn es weniger Insekten, Regenwürmer, Bienen, Vögel & Co. gibt. Sicher ist: Es verändert alles. Ungut fürs Geschäft ist auch eine Studie, die Genfer Wissenschaftler vergangene Woche publizierten: Die Spermienqualität von 3000 Rekruten wurde untersucht. Sie ist tief, und die Schweizer sind damit im europäischen Vergleich Schlusslicht in Sachen Spermienqualität. Ein möglicher Grund: Pestizide.
Und dann sind da noch die Biobauern. Sie beweisen seit Jahrzehnten, dass es ohne synthetische Pestizide geht. Wer schon einmal mit Biobäuerinnen gesprochen hat, weiss: Sie erzählen gern, wie sie von den anderen Bauern ausgelacht wurden, als sie ihren Hof auf Bio umstellten. Noch besessener sind sie allerdings vom Boden. Sie könnten stundenlang darüber reden. Von Regenwürmern und Mikroorganismen. Einer von ihnen ist der Bio-Winzer Bruno Martin aus Ligerz BE. «Der Boden gehört nicht uns. Wir sind nur Gast», sagt er. Das kurzfristige Profitdenken habe die Schweizer Landwirtschaft in eine Sackgasse geführt. «Heute haben wir kaputte Böden und verschmutztes Trinkwasser.»
Die Bauern hätten den natürlichen Kreislauf der Natur verlassen.
Natur kann allerdings brutal sein. Das wissen Kartoffelbauern. Ihr Albtraum ist die Krautfäule, und die hat traurige Geschichte geschrieben: 1845 vernichtete der Pilz in Irland fast die gesamte Ernte. Da die Kartoffel Hauptnahrungsquelle war und in Monokulturen angebaut wurde, verhungerte eine Million Menschen.
Bio-Kartoffelbauern setzen heute Kupfer ein gegen die Krautfäule – auch das schadet der Umwelt. Es gibt auch welche, die nur die Kartoffelstauden beobachten und sie wegschneiden, bevor die Krautfäule eine Chance hat. Ein Bauer aus dem Zürcher Oberland gar seit 50 Jahren. Einmal verlor er seine Ernte trotzdem. Konnte den Verlust aber verschmerzen, weil er noch andere Nahrungsmittel angebaut hatte. Der konventionelle Kartoffelbauer spritzt Pestizid. Auch vorsorglich.
Grosser Bruder
Zurück zu Bauer und Bäuerin und der Frage, wer sie heute sind. Biobäuerin Gertrud Häseli aus Wittnau AG sagt: «Bauern sind zu Sklaven geworden.» Biobauer Martin Ott aus Rheinau ZH: «Futtermittelverkäufer und Pestizidhersteller haben die Bauern mit einem ausgeklügelten System in die Abhängigkeit geführt.» Was die beiden damit meinen: Die konventionelle Landwirtschaft ist auf Pestizide, Kraftfutter und Kunstdünger angewiesen. Den Überblick darüber zu behalten, welches Pestizid und welche Düngung in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt notwendig ist, sei für einen Bauern fast gar nicht mehr möglich. Darum gibt es die landwirtschaftlichen Berater. «Der grosse Bruder», wie Ott sagt. Der grosse Bruder hilft gern. Aber nicht uneigennützig. Der grosse Bruder ist Fenaco.
Fenaco, ein Konzern mit sieben Milliarden Franken Umsatz im Jahr 2019. Vielen besser bekannt unter: Volg – frisch und freundlich. Oder Ramseier – die Kraft der Natur. Oder als Landi, Düngerhändler Landor, Futtermittelhersteller UFA, Fleischverarbeiter Ernst Sutter und Autofahrern als Agrola-Tankstellen. Rund 100 Marken sind unter dem Dach von Fenaco vereint. Entstanden 1993 aus einem Zusammenschluss bäuerlicher Genossenschaften, hat Fenaco heute eine beinahe marktbeherrschende Stellung im Agrarsektor. Anfang Jahr bietet Fenaco-Tochter Landi den Bauern Sprechstunden an oder besucht sie direkt auf dem Hof. Besprochen wird der Dünger- und Pestizid-Fahrplan für die gewählte Produktion. Wo dem Bauern das Wissen fehlt, weiss der Berater bestens Bescheid. Schliesslich wird er von den Herstellern und Vertreibern der entsprechenden Produkte gestellt. Wer früh kauft, kriegt Rabatt.
Wie stark Fenaco die Landwirtschaft im Griff hat, zeigt exemplarisch das Erbsen-Business. Will ein Bauer Erbsen anbauen, schickt Fenaco-Tiefkühlprodukte-Tochter Frigemo dem Bauern einen Vertrag, in dem auch gleich der Zeitpunkt der Aussaat festgesetzt ist. Das Saatgut wird geliefert, der Pestizideinsatz genau vorgegeben – von Fenaco. Während die Erbsen wachsen, weiss der Fenaco-Berater auch jederzeit, was noch gespritzt werden sollte. Sind die Erbsen reif, kommt Fenaco mit der Erntemaschine – und weg sind die Erbsli.
Eine Riesenmaschinerie im Gegensatz zum Regenwurm, der nur eines tut: fressen, verdauen und scheissen. Doch er macht in Perfektion, was Pestizid- und Düngemittelhersteller auch wollen: den Boden fruchtbar und die Pflanze widerstandsfähig.
Bauern und die Politik
Doch Fenaco verdient eben nicht am Wurm. Ganz im Gegensatz übrigens zu Hans Fuhrer. Der Biobauer aus Aeschi BE lässt doch tatsächlich Regenwürmer für sich arbeiten. In jahrelanger Tüftelei hat er ein Kompostierungssystem hergestellt, mit dem er Wurmerde gewinnen kann. In dem, was die Würmer ausscheiden, leben Millionen Mikroorganismen, Bakterien und Pilze. Fuhrer hat seine Wurmerde auch schon an Landwirte aus dem Berner Seeland verkauft. Ein Gebiet, in dem besonders intensive Landwirtschaft betrieben wird und die Böden durch Künstdünger und Pestizide dementsprechend ausgelaugt sind. «Wurmerde, die in diesen Boden eingearbeitet wird, macht den Boden wieder lebendig», sagt Fuhrer.
Wir sind vom Thema abgekommen. Fenaco und die Bauern sind also aufs Engste miteinander verbandelt. Der Fenaco-Präsident ist im Vorstand des Bauernverbands. Mit Guy Parmelin und Ueli Maurer sitzen gleich zwei Männer im Bundesrat, die einst im Verwaltungsrat der Genossenschaft waren. 32 bäuerliche Vertreter und Vertreterinnen zählt das Parlament. Darunter auch Fenaco-Verwaltungsrat Leo Müller und Bauernverbands-Präsident Markus Ritter. Bisher ist es den Bauern dank Unterstützung der Bürgerlichen stets gelungen, ihre Interessen durchzusetzen: Milliarden an Direktzahlungen, kaum Zugeständnisse an eine ökologischere Landwirtschaft.
Was im Parlament noch funktioniert, scheint für die Bevölkerung immer weniger aufzugehen. Sonst würde es aktuell nicht gleich zwei Initiativen geben, die von den Landwirten einen radikalen Richtungswechsel fordern – die Pestizid- und die Trinkwasser-Initiative. Beide wollen eine Landwirtschaft, die bewahrt und nicht zerstört. Also vereinfacht gesagt: Bio. Für die ganze Schweiz.
Für Fenaco wäre so was geschäftsschädigend. Für die weltweit tätige Syngenta ist der Schweizer Markt vernachlässigbar – doch die Signalwirkung wäre schlecht.
Bio-Kleber weggekratzt
Die Bauern selber treten nach aussen hin einig auf. Sie sind gegen beide Initiativen. BioSuisse ist für die Pestizid-, aber gegen die Trinkwasser-Initiative. Letzteres, weil man fürchtet, dass es dann mehr Biobauern gibt und der Umsatz schwindet. Dieser Entscheid machte Bruno Martin, den Winzer aus Ligerz, so dermassen hässig, dass er den Bio-Knospen-Kleber von seinem Auto kratzte. Mittlerweile gibt es aber auch ein bäuerliches Komitee, das für die Trinkwasser-Initiative kämpft. Martin ist dabei.
An vorderster Front für Pestizide weibelt ebenfalls ein Biobauer. Markus Ritter, Nationalrat und Präsident des Schweizer Bauernverbands. Er sagt: «Die Initiativen sind zu extrem, schiessen weit über das Ziel hinaus und bringen niemandem etwas in diesem Land. Aber gar niemandem.» Die Trinkwasser-Initiative sei bei der Ökologie gar kontraproduktiv. Viele Tausend Arbeitsplätze würden verloren gehen, die Lebensmittelpreise markant steigen.
Fenaco sagt auf Anfrage das Gleiche, nur in anderen Worten. Selber betroffen wäre der Bauernkonzern nach eigenen Angaben besonders bei der Lebensmittelverarbeitung. Bei den Marken Ernst Sutter (Fleisch), Ramseier (Apfelsaft) oder Frigemo, die neben den oben erwähnten Erbsen hauptsächlich Pommes frites herstellen – exklusiv für McDonald’s. Fenaco ist sicher, dass die Bauern bei einem Ja weniger produzieren könnten, dadurch in der Verarbeitung die Ware fehlte und darum mehr landwirtschaftliche Produkte importiert werden müssten. «Damit würden auch die Umweltbelastungen ins Ausland verlagert.»
Gegen Verteufelung von Pestiziden
Syngenta will selber nichts sagen und verweist an Scienceindustries, den Wirtschaftsverband von Chemie, Pharma und Biotech mit Mitgliedern wie Bayer, Novartis oder Nestlé. Die finden: Die «Verteufelung» synthetischer Pestizide sei falsch. «Wir brauchen Innovationen, weil nur damit die Herausforderungen der Zukunft gelöst werden können.» Nur so sei der Erhalt der biologischen Vielfalt und die Eindämmung des Klimawandels möglich. Und grundsätzlich: «Der Bund erlasse gesetzliche Vorschriften. «Pestizide dürfen nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie geprüft und als sicher für Menschen und Umwelt beurteilt worden sind.»
Und so zieht der Bauernverband an der Seite von Syngenta und Fenaco in den Abstimmungskampf. Ihre Gegner sind – durchaus auch mächtige – Umweltschutzverbände und eine Bevölkerung, die sich sauberes Trinkwasser und intakte Böden wünscht.
Syngenta hatte jüngst gleich zwei Erfolge zu verbuchen: Mit einer Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht hat der Agrochemiekonzern erwirkt, dass das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen nicht mehr sagen darf, dass Chlorthalonil «wahrscheinlich krebserregend» ist. Chlorthalonil ist ein Wirkstoff, der gegen Pilzbefall in der Landwirtschaft eingesetzt wird, von Syngenta vertrieben und seit 2020 in der Schweiz verboten. Chlorthalonil ist in unserem Trinkwasser. Die EU hat den Wirkstoff verboten, weil sie ihn als «wahrscheinlich krebserregend» einstuft. Den vom Bund festgelegten Grenzwert für Chlorthalonil-Rückstände im Grundwasser konnte Syngenta vergangene Woche mit einer Klage ebenfalls aufheben.
Das Bauerntum ist nicht mehr Identität unseres Landes. Aber im Herzen von uns Nicht-Bauern lebt sie noch, die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, dem Rhythmus der Natur, dem Reinen. Bloss, dafür können die Schweizer Bauern nichts. Sie produzieren schlicht das, was wir Nicht-Bauern nachfragen. Und so könnte man sagen: Jedes Land hat die Bauern, die es will.
Die Initianten der Vorlage «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» sagen, dass Pestizide die Gesundheit gefährden. Darum sollen sie in der Schweiz verboten werden.
Und zwar nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch für Hobbygärtner und in der Lebensmittelindustrie. Auch importierte Lebensmittel müssten pestizidfrei sein.
Die Initianten der Vorlage «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» sagen, dass Pestizide die Gesundheit gefährden. Darum sollen sie in der Schweiz verboten werden.
Und zwar nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch für Hobbygärtner und in der Lebensmittelindustrie. Auch importierte Lebensmittel müssten pestizidfrei sein.
Die Trinkwasser-Initiative kritisiert, dass Bauern den Steuerzahler Milliarden kosten und zugleich Wasser und Umwelt verschmutzen. Die Initiative will, dass nur noch jene Landwirte Direktzahlungen erhalten, die auf synthetische Pestizide verzichten, ihre Tiere mit Futter vom eigenen Hof ernähren und nicht vorbeugend Antibiotika verabreichen.
Die Trinkwasser-Initiative kritisiert, dass Bauern den Steuerzahler Milliarden kosten und zugleich Wasser und Umwelt verschmutzen. Die Initiative will, dass nur noch jene Landwirte Direktzahlungen erhalten, die auf synthetische Pestizide verzichten, ihre Tiere mit Futter vom eigenen Hof ernähren und nicht vorbeugend Antibiotika verabreichen.