Der Bauer war verliebt. Darum pflanzte er eine Linde. Mittlerweile ist aus dem Pflänzchen ein mächtiger Baum geworden. Um die Liebe geht es hier zwar bloss am Rande, die Linde vor dem Hof aber zeigt: Ernst Frischknecht (81) denkt zukunftsgerichtet. Darum glaubt er auch an eine Landwirtschaft, die komplett biologisch produziert. Sein Versprechen: Es funktioniert.
Mit dem Lockdown brach vieles ein, explodiert ist der Absatz von Bio-Lebensmitteln. Und zwar um 30 Prozent. Doch der Schein trügt. Bio ist eine Nische. Noch immer. Lediglich 15 Prozent der Schweizer Landwirte setzen auf nachhaltige Landwirtschaft. Die Schweiz ist damit zwar Bio-Weltmeister. Doch ist das genug, wenn beispielsweise beim Schweinefleisch der Bio-Anteil bei gerade mal 1,9 Prozent liegt?
Der Lindenhof
Dienstagmorgen, Lindenhof, Tann-Dürnten im Zürcher Oberland. Am Gartentisch sitzen drei Generationen: Stefan (20), Andreas (55) und Ernst Frischknecht. Der spricht nicht von Bio-Rüebli, sondern über Terrorismus. «Je mehr man Terroristen bekämpft und versucht, sie auszurotten, desto mehr gibt es.» Regiere man stattdessen gerecht und so, dass auch die Schwachen eine Chance haben, verschwinde der Terrorismus. In der Landwirtschaft funktioniere es ähnlich. «Sieht ein Wissenschaftler einen Fleck auf der Pflanze, will er ihn bekämpfen.» Dabei müssten wir uns darauf fokussieren, dass das Milieu gesund ist.
Das Milieu des Bauers ist die Erde, aus der wächst, was er pflanzt. Andreas Frischknecht sagt: «Es geht bei Bio um langfristiges Denken. Auf eine Saison gesehen sei die biologische vielleicht nicht lukrativer als die konventionelle Landwirtschaft. Über ein paar Jahre gesehen halte es sich die Waage. «Denken wir in Generationen, ist es ganz klar lukrativer.» In Norddeutschland gebe es Böden, auf denen nichts mehr wachse, weil sie kaputt seien. Wo konventionelle Landwirtschaft hinführe, zeige sich auch anderswo – Rinderwahnsinn, Geflügelgrippe und Schweinepest. «Hat man eine Seuche im Griff, komme bereits die nächste.»
Kartoffeln beobachten
Die Biobauern am Tisch im Garten sind unaufgeregt. So wie es Menschen sind, die wissen: Es stimmt, was sie sagen – obwohl viele ihre Meinung nicht teilen. So auch bei der Kartoffel. Der Feind jeder Kartoffel ist die Krautfäule. Sie kann ganze Ernten vernichten. Tritt irgendwo in der Schweiz Krautfäule auf, wird das in Branchenzeitungen gemeldet; und auch wenn kein Befall vorliegt, «rennen alle Bauern auf ihre Äcker und spritzen Fungizide», so Ernst Frischknecht. Bestärkt würden sie darin von Wissenschaftlern und den Beratern der Agro-Firmen. Das Problem: Das Fungizid tötet nicht nur Pilze auf der Pflanze, sondern auch die im Boden. Seit 70 Jahren wisse man, dass dieser Bodenpilz in die Pflanze hineinwächst und ihr hilft, Pilzerkrankungen vorzubeugen. «Spritzen wir vorbeugend Pestizide, kann die Pflanze keine Resistenz aufbauen.» Biobauern nutzen Kupfer gegen Krautfäule. Frischknechts beobachten ihre Kartoffeln bloss.
Wenn die Kartoffelpflanze Ende Juli von allein abstirbt, vernichten sie die Stauden, damit bei allfälligem Befall nichts auf die Knollen übergehen kann. Das funktioniere seit bald 50 Jahren – ausser einmal, als sie die Pflanzen nicht vernichteten. «Das war eine Katastrophe», gibt Andreas Frischknecht unumwunden zu. Alle Kartoffeln verfaulten. «Es bleibt ein gewisses Risiko», sagt er. Weil der Lindenhof aber neben Kartoffeln auch noch Weizen, Milchkühe, Rinder, Pferde, Schafe oder Ziegen hat, können Frischknechts dieses Risiko eingehen. «Geht etwas bachab, haben wir drei, vier andere Sachen, die vielleicht umso besser gedeihen.» Die Tendenz in der Landwirtschaft sei allerdings, sich zu spezialisieren. «Hat ein Bauer lediglich Kartoffeln und etwas läuft schief, ist er pleite.» Sein Sohn Stefan ergänzt: «Ist man breiter aufgestellt, ist man auch nicht so abhängig, wenn beispielsweise der Milchpreis fällt.»
Ausgelacht und verspottet
Als Ernst Frischknecht 1965 den Hof übernahm, kamen die Pestizide auf, wie wir sie heute kennen. Frischknecht war begeistert – «endlich nicht mehr jäten». Nach einer Weile entdeckte er, was eine Landwirtschaft anrichtet, die auf Pestizide setzt: «Sie zerstört Böden und vergiftet den Menschen.» 1972 stellte er seinen Hof auf biologische Landwirtschaft um. Bio gab es damals schon seit 50 Jahren. Angewendet wurde es allerdings nur heimlich. Frischknecht war einer der ersten Schweizer Bauern, die sich nicht scheuten, Politik und Bauernverbände mit ihren Erkenntnissen zu konfrontieren. Er wurde belächelt und verspottet. Zumindest als Spinner gilt er heute nicht mehr. Trotzdem ist Bio noch nicht da, wo er es gern hätte. Warum?
Zum einen, weil angehende Landwirte nichts über biologische Landwirtschaft lernen. «In der Schule erzählen sie, es geht nicht ohne Kraftfutter. Als ich mich im Unterricht zu Wort meldete und sagte, dass es ohne Kraftfutter geht und wir das so machen auf unserem Hof, wurde ich gar nicht beachtet», sagt der 20-jährige Stefan Frischknecht. Zweitens: Die Forschung des Bundes muss zur Hälfte privat finanziert sein. Und das tun Agrochemie-Firmen, die wirtschaftliche Interessen haben. Andreas Frischknecht sagt: «Ich weiss von einer Schule für Agrotechnik, an der eine Studie zur Rinderaufzucht gemacht wurde. Das Resultat: Gutes Heu und optimale Aufzucht sind günstiger als Kraftfutter. Sie wollten das publizieren. Die Agro-Firma, die sich an der Studie finanziell beteiligt hatte und selber Kraftfutter verkauft, erhob Einspruch. Publiziert wurde das Gegenteil: Kraftfutter lohnt sich.»
Initiativen fordern weniger Gift
Über gleich zwei Volksinitiativen werden wir 2021 abstimmen, die eine biologischere Landwirtschaft fordern: die Initiative für sauberes Trinkwasser und die Initiative Schweiz ohne synthetische Pestizide. Am Mittwoch äusserten sich die beiden Agrochemie-Multis Bayer und Syngenta in einer Online-Medienkonferenz dazu. Die Botschaft war klar: «Die Annahme dieser Initiativen wäre eine Katastrophe für die Schweiz. Lebensmittelsicherheit kann ohne Pestizide nicht gewährleistet werden.»
Die drei Männer glauben das nicht. «Wir können die Schweiz mit nachhaltiger Landwirtschaft ernähren», sagt Andreas Frischknecht. Das würde allerdings bedeuten, nicht mehr das Maximum, sondern das Optimum zu erwirtschaften. Schon heute würden auch Bauern dazu beitragen, die offiziell nicht Bio produzieren, aber ebenfalls auf die Natur eingehen, die Gesundheit fördern und nur im Notfall zur Spritze greifen würden, sagt er. «Entscheidend für die künftigen Generationen ist, ob wir unseren Böden Sorge tragen.» Wir müssten ausserdem den eigenen Menüplan anpassen: etwas weniger Fleisch, das ganze Tier verwerten und nicht nur das Steak essen. Vollwertküche statt Fastfood, Küchenarbeit statt Mikrowellenmenüs.
«Der Respekt vor dem Leben – sei es Tier, Pflanze oder Mitmensch – muss wichtiger sein als die finanziellen Aspekte.» Und zwar auf allen Ebenen: bei Produzenten, Verarbeitern, dem Handel wie auch beim Konsumenten. «Eine Wirtschaft, bei der es nur um Geld, Wachstum und Dividenden geht, hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun.» Der Ertrag wäre bei reiner Bioproduktion kleiner. «Ein Drittel der Nahrungsmittel kommt aber heute gar nie auf den Tisch, weil sie von der Grösse oder dem Aussehen her nicht der Norm entsprechen.» Bei ausschliesslich Bio könnten wir nicht mehr jedes krumme Rüebli aussortieren, sagt Andreas Frischknecht. Es brauche auch ein gesellschaftliches Umdenken. Sein Vater Ernst Frischknecht ist überzeugt: «Langfristig gibt es nichts Billigeres als Bio. Volkswirtschaftlich gerechnet.»
Wer verhindert Bio-Landwirtschaft?
Wenn Bio gesünder für Mensch und Natur und langfristig erst noch günstiger ist, wer verhindert dann, dass ein Grossteil der Bauern auch so produziert? Der Handel, sagte kürzlich «Kassensturz». Die Grossverteiler würden höhere Margen auf Bio-Produkten nehmen. «Der Konsument», sagt Raphael Helfenstein vom Schweizerischen Schweinezucht- und Schweineproduzentenverband. Unter zwei Prozent des Schweinefleisches in der Schweiz haben Bio-Qualität. «Zwar sagt die Bevölkerung, dass sie biologische Lebensmittel will. An der Kasse entscheidet dann doch das Portemonnaie.» Das sei der Grund, dass zwar viele Schweinezüchter ihre Säuli gern biologisch halten würden, es aber nicht tun, so Helfenstein.
Den Konsumenten die Schuld zu geben, findet Mirjam Halter falsch. Halter ist stellvertretende Geschäftsführerin von Vision Landwirtschaft. Einem Verein aus Bauern und Wissenschaftlern, der sich für eine nachhaltige Landwirtschaft einsetzt. «Kann die Kundin bei gleichem Preis zwischen einem Bio-Apfel und einem konventionellen Apfel wählen, greift sie zu Bio.» Doch Bio ist heute stets teurer. Halter fordert: «Der Preis muss runter.» Das sei mehr als fair, weil der heutige Preis nicht die tatsächlichen Kosten widerspiegle: Biobauern werde die Erhaltung der Biodiversität viel zu gering vergolten, konventionelle Bauern hingegen dürften das Trinkwasser gratis verschmutzen. «Die Schweiz gibt Milliarden aus für die Landwirtschaft. Viel mehr als unsere umliegenden Länder.» Über Direktzahlungen könnte es der Bund so lenken, dass Bioprodukte gleich teuer wären wie konventionell produzierte Lebensmittel. Halter sagt: «Der Bund steht einer ökologischen Landwirtschaft im Weg.»
Beim Bundesamt für Landwirtschaft will man davon nichts wissen. Der Bund unterstütze die nachhaltige Produktion von Lebensmitteln mit verschiedenen Direktzahlungsinstrumenten. Mit der nächsten Etappe der Agrarpolitik würden die finanziellen Mittel nochmals erhöht. «Der Bund kann weder einseitig entscheiden, was die Bevölkerung konsumieren soll, noch in die Preisbildung oder die Margengestaltung von Verarbeitung und Handel eingreifen.» Kurz: Der Bund tue mehr als genug.
Das Universum im Boden
Der Schweizerische Nationalfonds hat am Donnerstag seine langjährige Forschung zum Thema «Gesunde Ernährung und nachhaltige Landwirtschaft» veröffentlicht. Die Forscher widersprechen in ihrem Bericht dem Bundesamt für Landwirtschaft. Die Landwirtschaftspolitik verfüge über politische Instrumente, um die Auswirkungen der landwirtschaftlichen Produktion auf die Umwelt zu begrenzen, wird festgehalten. Weiter heisst es dann: «Diese Instrumente werden noch nicht so lange zur Erreichung dieses Ziels eingesetzt und/oder sind eher unverbindlicher Natur.»
Biobauer Ernst Frischknecht nimmt eine Handvoll Erde, riecht daran. «Wenn wir in die Sterne schauen, ist uns bewusst, dass da ein ganzes Universum ist. «Beim Boden vergessen wir das.» Dabei sei auch der ein Universum. «In dieser Handvoll Erde leben so viele Bakterien wie Menschen auf der Welt.» Der Mensch müsse Sorge dazu tragen. Doch stattdessen hätten sich in intensiv bewirtschafteten Gebieten wie dem Berner Seeland die Böden in den vergangenen 50 Jahren um 1,5 Meter abgesenkt. Frischknecht glaubt unerschütterlich an die Biolandwirtschaft.
Mit dem geringen Selbstbewusstsein eines Bauern gegen Wissenschaftler anzutreten, sei für ihn trotzdem stets schwierig gewesen. «Ich habe Respekt vor Menschen, die anders denken als ich.» Aber er wünsche sich, dass Wissenschaftler und Bauern zusammenarbeiten. Dass durch das Wissen von beiden Seiten Brücken geschlagen werden für eine Landwirtschaft mit Zukunft.
Dorli Frischknecht (76), die Frau, für die er einst die Linde pflanzte, arbeitet an diesem Morgen in ihrem grossen Gemüse- und Blumengarten. Die verrückte Verliebtheit von damals ist der Liebe gewichen. Zwischen Kopfsalat und Bohnenstauden sagt Frischknecht seiner Frau, wie schön sie ist. Es scheint, dass gegen den Strom zu schwimmen wohl anstrengend ist, aber diese beiden Bio-Pioniere nicht unglücklich gemacht hat. Im Gegenteil.
Das Buch zum Thema: «Damit wir auch in Zukunft eine Zukunft haben. Ernst Frischknecht. Der Bio-Pionier.» Von Christine Loriol. Verlag Elfundzehn. 2019
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