Herr Traub, wie radikal darf Klimaschutz sein?
Greta Thunberg und Luisa Neubauer haben ja auf ganz vielen Veranstaltungen gesagt: Man kann das Klima nur retten, wenn man das System komplett überwindet. Das ist der falsche Ansatz. Das sind beides Frauen, die extrem vom System profitieren. Für Leute mit vielen Alltagssorgen klingt das nicht nur lebensfremd, sondern sogar höhnisch.
Geht es mit einem Systemwandel nicht am Ende mehr Menschen besser?
Das weiss doch keiner, und das ist viel zu abstrakt. Fridays for Future malt immer nur den Teufel an die Wand. Man muss doch aber viel mehr dahin, dass man Chancen aufzeigt. Die allermeisten Leute in unserem Land wollen Klimaschutz. Aber wenn Klimaschutz nicht sozialverträglich ist, hängen wir die Leute ab. Und dann stören mich bei Fridays for Future auch noch die permanenten Schuldvorwürfe gegen vermeintliche Klimasünder. Wer auf dem Land aufwächst, wird aber ohne ein Auto nicht weit kommen. Wir können die Erde nur dann retten, wenn wir auch die Menschen, die darauf leben, ernst nehmen.
Sollten also manche Menschen weiterhin Benziner fahren dürfen?
Politische Massnahmen sollten auf jeden Fall nicht zulasten von Menschen gehen, denen es eh schon schlechter geht. Klimaschutzpolitik ist auch Geldbeutelpolitik. Natürlich ruft das bei Leuten Unmut hervor, wenn sie finanziell darunter leiden.
Das Argument der Klimajugend ist: Wenn man jetzt nicht entschieden handelt, ist es bald ganz zu spät.
Aber was hat denn schon ein Fabrikarbeiter oder ein Handwerker vom grossen Systemsturz? Solche undurchdachten Schwärmereien könnten viele Arbeitsplätze kosten. Mit absoluten Forderungen lassen wir nicht nur Menschen zurück, sondern schrecken auch global ab. In Schwellenländern wie beispielsweise China werden noch immer Kohlekraftwerke gebaut. Ich fände es sinnvoller, wenn Länder wie Deutschland oder die Schweiz eine Leuchtturmposition einnehmen, in denen man Innovation fördert und Klimaschutz sozialverträglich umsetzt. Klima muss als Thema kommuniziert werden, das Chancen fördert.
In Bern besetzt die Klimajugend gerade den Bundesplatz – obwohl das zur Session strikt verboten ist. Was halten Sie davon?
Die jungen Klimaaktivisten sind so davon überzeugt, dass sie auf der richtigen Seite stehen, dass sie sich selbst nicht hinterfragen. Sie vergessen, dass es in der Politik um Kompromisse geht. Und in der Demokratie darum, den Rechtsstaat zu akzeptieren.
Harte Worte. Dabei waren Sie Anfang 2019 selbst mal begeisterter Klimaaktivist ...
Das war in der absoluten Hochphase von Fridays for Future. Ich habe das auf Twitter und Instagram gesehen – die Massen, die da auf die Strasse gingen. Da wollte ich dabei sein. Für mich gab es damals nichts anderes. Ich hatte das Gefühl: Das ist unsere grosse Chance, wirklich was zu ändern.
Wie aktiv waren Sie?
Es gibt ja keine Ämter wie bei Parteien. Es gibt lokale Sprecher … So was habe ich aber nicht gemacht. Ich war und bin nicht mal Veganer. Aber ich bin auf ganz viele Demos gegangen.
Was stand auf Ihrem Demo-Schild?
Ich hatte keins! Nicht mal ein Selfie habe ich von mir auf der Demo gemacht. Ich war eher so der klassische Mitläufer.
Und nach drei Monaten hatten Sie schon die Schnauze voll. Warum?
In meinem Uni-Umfeld ging es nur ums Klima, selbst in Seminaren wurde ständig darüber diskutiert. In meinem Heimatdorf hingegen war das Unverständnis gigantisch gross. Anfangs habe ich die Leute, mit denen ich aufgewachsen bin, als Provinzler abgetan. Aber je häufiger ich wieder zu den Streiks gegangen bin, desto mehr wurde mir klar, wie richtig die Kritik ist. Es gibt bei der Klimajugend keine Grautöne, nur Schwarz-Weiss-Denken: Das zerstört den Diskurs. Zudem ist Fridays for Future wahnsinnig elitär. Das belegen auch Studien: 90 Prozent haben oder machen gerade Abitur. Viele Menschen haben das Gefühl, dass die Forderungen der Klimajugend an ihrer Lebensrealität vorbeigehen.
Wer ist daran schuld?
Ich glaube, die meisten Aktivisten sind in einem sehr behüteten Umfeld aufgewachsen. Die haben keine Ahnung, was der Waldbrand in Kalifornien für Menschen hier bedeutet, die nicht wissen, wie sie am Ende des Monats noch ihr Essen bezahlen sollen.
Haben Sie versucht, Ihre Mitstreiter darauf anzusprechen?
Ja. Und viele teilen meine Ansicht. Es haben mich total viele ermutigt, meine Kritik zu äussern. Ich habe viele Artikel darüber geschrieben – so kams auch zu meinem Buchvertrag. Das Problem sind die Anführer der Bewegung. In jeder grösseren Stadt gibt es jemanden, der für diese Bewegung spricht, in den Medien sehr präsent ist. Bei diesen «Aushängeschildern» ist Kritik eher unerwünscht, weil sie sich selbst in Frage gestellt fühlen. Das nervt auch die anderen. Gemerkt hat man das zum Beispiel vor ein paar Wochen, als sich Greta Thunberg, Luisa Neubauer und ein paar andere mit Angela Merkel getroffen haben – das wurde klammheimlich abgewickelt, ohne die Basis einzubeziehen. Entsprechend gabs interne Kritik.
Ihre Streitschrift ist eine knallharte Abrechnung mit der Bewegung. Hat Ihnen das niemand übel genommen?
Es gab die ganze Bandbreite: Leute, die auf Abstand gingen und es als Verrat empfinden – und Leute, die mich bestärkt haben.
Fänden Sie Fridays for Future besser, wenn dort weniger Menschen Abitur hätten?
Es wäre meine Traumvorstellung, dass jemand aus einer Arbeiterfamilie die deutsche Galionsfigur wäre. Wenn derjenige einfühlsam wäre, die Menschen ehrlich mitnehmen würde.
Luisa Neubauer betont doch immer, dass ihre Mutter Krankenschwester sei.
Die Art, wie sie auftritt, ist aber sehr bürgerlich. Sehr bestimmt und selbstbewusst. Damit stösst sie viele Menschen vor den Kopf – die eben aus einer Arbeiterfamilie kommen, die sich fragen, wie man das kaputte Auto oder die Ausbildung der Kinder finanziert.
Waren Sie seit Ihrem Ausstieg noch mal auf einer Klimademo?
Ja. Ich wollte mir das noch mal anschauen, beobachten.
Und, wie wars?
Es ist noch immer das Gleiche: Die Aktivisten gehen nur dahin, wo sie Bestätigung bekommen. Sie sollten rausgehen aus den Städten. Sie sollten nicht nur in Gymnasien oder Universitäten werben, sondern auch in Ausbildungsbetrieben. Klimaschutz kann nur gelingen, wenn die breite Bevölkerung dahinter steht. Wenn der hippe Grafikdesigner zusammen mit der Hochschulprofessorin, dem Landwirt und dem Automechaniker demonstrieren geht, wäre das fantastisch.
Was möchten Sie Greta Thunberg gerne sagen?
Dass die Welt nicht nur schwarz-weiss ist. Dass man sich hinterfragen muss, rausgehen muss. Mit Menschen sprechen muss, die einem nicht sofort zustimmen. Wenn man nur über Menschen urteilt, mit denen man gar nicht sprechen will, gewinnt man sie nicht.
Clemens Traub (23) studiert Politikwissenschaften in Mainz (D). Der Ex-Klimaaktivist ist SPD-Mitglied und arbeitet neben dem Studium fürs ZDF. Sein Buch «Future for Fridays? Streitschrift eines jungen ‹Fridays for Future›-Kritikers» erschien schon Ende Februar – ging aber in der Corona-Krise fast unter.
Clemens Traub (23) studiert Politikwissenschaften in Mainz (D). Der Ex-Klimaaktivist ist SPD-Mitglied und arbeitet neben dem Studium fürs ZDF. Sein Buch «Future for Fridays? Streitschrift eines jungen ‹Fridays for Future›-Kritikers» erschien schon Ende Februar – ging aber in der Corona-Krise fast unter.