In der Nacht auf Mittwoch fuhr Nationalratspräsidentin Irène Kälin (35) mit ihrer Delegation im Zug von Warschau nach Kiew. Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk (46), der sie eingeladen hatte, begrüsste die diplomatische Geste: «Der Besuch der höchsten Schweizerin ist mehr als ein Zeichen der Solidarität. Es braucht Mut, dies zu tun.»
Fast täglich reisen mitten im Krieg Präsidentinnen und Präsidenten in die Ukraine: Uno-Generalsekretär António Guterres (72), US-Aussenminister Tony Blinken (60) und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin (68), der britische Premier Boris Johnson (57), EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (63), Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (49) und viele andere.
Sie alle tun dies aus Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern und zeigen damit: Wir vergessen euch nicht!
Das Echo ist durchgehend positiv. Johnson etwa wurde in den britischen Medien für seinen demonstrativen Spaziergang quer durch Kiew geradezu gefeiert.
Nur in der Schweiz tönt es anders:
«Kälin in Kiew und auf allen Kanälen: Die Ukraine will Mitleid, die höchste Schweizerin will mitleiden», schnödet die «NZZ». «Der Tages-Anzeiger» schreibt: «Jeder Schritt von Kälin, jeder noch so halbgare Gedankenfetzen wurde live von Blick TV übertragen. Irène Kälin goes Ukraine!» Die «Weltwoche» diagnostizierte schlicht den «Egotrip des Jahres».
Nicht weniger seltsam das Theater um den Schutz der Schweizer Delegation. Jedes andere Land der Welt gibt seinen höchsten Repräsentanten Sicherheitsleute mit, normalerweise auch die Schweiz. Doch das Bundesamt für Polizei (Fedpol) weigerte sich. Lieber riet es Kälin vom Besuch ab.
Für andere Staaten ist eine offizielle Reise nach Kiew machbar – weshalb soll sie für die Schweiz zu gefährlich sein? Andere Länder feiern ihre Toppolitiker, wenn sie aus Solidarität in die Ukraine reisen – weshalb wird in der Schweiz genörgelt, gestänkert und zerredet?
- Ein Grund ist der Neid. Journalistinnen und Journalisten anderer Medienhäuser reagieren kritisch, weil sie Kälin nicht begleiten durften.
- Ein Grund ist die Ideologie. Manche verlangen komplette Neutralität von der Schweiz, obwohl bei einem Angriffskrieg kein Land neutral sein darf.
- Ein Grund ist diese junge Politikerin der Grünen, die für ein Jahr höchste Schweizerin ist. Das löst auch im Jahr 2022 offenbar noch bei manchen Abwehrreflexe aus.
Möglicherweise liegt es aber auch daran, dass die Schweiz, dieses wunderbare Land, halt manchmal schlicht ein bisschen provinziell ist, und auch ein bisschen miesepetrig.
Sonderfall auch hier!