«Wenn jemand vorangeht, dann machen es die anderen nach»
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BlickPunkt über Mut im Krieg:«Wenn jemand vorangeht, dann machen es die anderen nach»

BlickPunkt über Mut in schwierigen Zeiten
Sind Sie Held oder Feigling?

Im Ukraine-Krieg können wir Menschen begegnen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um das Richtige zu tun. Manchmal bewirken sie sogar Wunder.
Publiziert: 19.03.2022 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2022 um 19:59 Uhr
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Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe.
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Die TV-Journalistin Marina Owsjannikowa (44) ist seit Montagabend weltberühmt: Mitten in der Hauptnachrichtensendung des russischen Staatsfernsehens springt sie ins Studio und hält ein Plakat vor die Live-Kamera: «Stoppt diesen Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen.»

Die Russin wird verhaftet und kommt mit einer Geldstrafe von umgerechnet knapp 300 Franken davon – zumindest vorläufig. Nach einem neuen Gesetz könnte sie für 15 Jahre im Gefängnis landen. Und niemand weiss, ob sie in zwei Jahren noch lebt. Wer den Zorn Putins auf sich gezogen hat, stirbt gern mal bei einem Unfall oder an Herzversagen.

Kreml-Gegner Alexej Nawalny (45) ruft aus einem Straflager seine Landsleute zum Widerstand auf: «Um den Krieg zu stoppen, müssen wir die Gefängnisse füllen. Alles hat seinen Preis. Und nun müssen wir diesen Preis bezahlen.» Tausende Russinnen und Russen folgten mutig seinem Rat und protestierten gegen Putins Angriff auf die Ukraine – trotz des Risikos, für Jahre hinter Gittern zu verschwinden.

Im Kriegsgebiet riskieren in diesen Tagen unzählige Ukrainer ihr Leben für die Freiheit. An vorderster Front Wolodimir Selenski (44): Er hätte sich längst ins Ausland absetzen können. Doch der Präsident bleibt in Kiew und hält mit täglichen Videobotschaften die Moral seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger aufrecht. Selenski weiss: Er wird den Krieg vielleicht nicht überleben.

Auch die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien nahmen diese Gefahr in Kauf, als sie am Dienstag im Zug mitten in das umkämpfte Land reisten, um ihre «uneingeschränkte Solidarität» zum Ausdruck zu bringen.

Jede Barbarei bringt Helden hervor: vom gescheiterten Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg (1907–1944) über den St. Galler Polizeikommandanten Paul Grüninger (1891–1972), der Hunderte jüdische Flüchtlinge rettete, bis zum unbekannten «Tank Man», der sich 1989 nach dem Massaker auf dem Tian'anmen-Platz in Peking den Panzern entgegenstellte.

Professor Dieter Frey (75) hat erforscht, was Menschen mutig macht: eine Mischung aus Ohnmacht und Empörung. Wer sich in einer solchen Lage für den Widerstand entscheide, besitze «einen klaren Wertekompass für Fairness, Anstand und Verantwortungsgefühl». In Experimenten wurde festgestellt, dass 10 bis 20 Prozent der Menschen genügend Mut in sich tragen, um Zivilcourage zu beweisen. Und wenn nur einer vorangeht, so eine weitere Erkenntnis, dann folgen ihm andere.

Die meisten von uns geraten glücklicherweise nie in eine Lage, in der wir unser Leben aufs Spiel setzen müssen, um das Richtige zu tun. Dennoch wäre es gewiss für jeden und jede interessant, mal ganz für sich – und ganz ehrlich – die Frage zu beantworten: Wäre ich ein Held? Oder ein Feigling?

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