Zwei Wochen vor dem Urnengang am Sonntag warb Finanzminister Ueli Maurer (71) im Blick für die Abschaffung der Stempelsteuer, als er warnte: «Wir haben die Tendenz, in satter Zufriedenheit Entwicklungen zu verschlafen!»
Sein Appell verhallte ungehört, Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sagten in satter Zufriedenheit und mit 63 Prozent Nein zu Maurers Vorlage.
Dabei ist die staatliche Kreditgebühr unbestritten eine seltsame Steuer. Das wuchtige Nein zu ihrer Abschaffung bedeutet also mehr: Es ist ein klares Statement gegen die Entlastung von Unternehmen durch den Staat – und ein deutliches Misstrauensvotum gegenüber der Wirtschaft.
Die Liste der Abfuhren wird immer länger: Selbst die äusserst scharfe Konzernverantwortungs-Initiative kam im November 2020 auf 50,7 Prozent. Das Extremprogramm scheiterte lediglich am Ständemehr.
Ist die einst tiefbürgerliche Schweiz sozialistisch geworden?
Blick-Politikchefin Sermîn Faki kommentierte das Nein vom 13. Februar so: «Gute Rahmenbedingungen sind wichtig, soll die Schweizer Wirtschaft weiterhin erfolgreich sein. Soll die Bevölkerung das mittragen, wird es nötig sein, sie an diesem Erfolg mehr als bisher teilhaben zu lassen.»
Damit trifft sie den Kern: Immer mehr Menschen haben das Gefühl, sie würden nicht mehr angemessen an Wachstum und Wohlstand beteiligt.
Das Volk sieht, wie Unternehmen von diversen Steuersenkungen, rekordhohen Aktienkursen, billigen Krediten und sprudelnden Dividenden profitieren. Zugleich warten viele Menschen in der Schweiz seit Jahren vergeblich auf Erleichterungen wie etwa die Abschaffung der Heiratsstrafe. Sie zahlen, während die Löhne stagnieren und die Inflation anzieht, Jahr für Jahr höhere Krankenkassenprämien. Und ein Hauskauf ist für die meisten unerschwinglich geworden.
Zu allem Überfluss liefert die Wirtschaft immer neue Gründe, ihr zu misstrauen: Manager, die ihre Unternehmen in der Misere zurücklassen und trotzdem Millionenboni kassieren, die in selbstverständlicher Arroganz im Privatjet der Corona-Quarantäne entfliehen oder sich auf Kosten der Firma im Rotlichtmilieu vergnügen.
Ein fader Geschmack bleibt auch zurück, wenn eine Unternehmerfamilie wie die Blochers über Jahre deutlich mehr Dividende an sich selbst auszahlt als Löhne an die gesamte Belegschaft.
Wo finden sich noch Wirtschaftsführer, die echte Vorbilder sind, die zuerst an den Werkplatz denken und nicht an ihren Vorteil? Wer ausser Stadler-Rail-Chef Peter Spuhler käme einem da spontan in den Sinn?
Und doch hat Ueli Maurer recht, wenn er im Blick-Interview sagt: «Nur starke Firmen schaffen Arbeitsplätze, zahlen gute Löhne und bieten Ausbildungsplätze.»
Wir alle sollten uns aus purem Eigennutz wieder klarmachen, dass es die Wirtschaft ist, die unseren Wohlstand schafft – bis hin zu den Hilfsgeldern, die der Staat in der Pandemie verteilen konnte.
Aber auch die Unternehmen sind in der Pflicht: Sie sollten sich stärker als bisher klarmachen, dass ihre Erfolge nicht nur Managementkünsten zu verdanken sind, sondern vor allem den Mitarbeitenden, Konsumenten und Bürgerinnen – der ganzen Schweiz!