Die Schweizerischen Bananen-Bahnen (SBB)
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BLICKpunkt von Christian Dorer:Die Schweizerischen Bananen-Bahnen (SBB)

BlickPunkt über das Versagen eines Bundesunternehmens
Die Schweizerischen Bananen-Bahnen (SBB)

Zuverlässig, sauber, sicher. Und pünktlich wie ein Uhrwerk: Einst waren die SBB der Stolz der ganzen Nation. Dann folgte der Zerfall. Was kann der neue Chef Vincent Ducrot dagegen tun?
Publiziert: 11.09.2020 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2020 um 14:07 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe.
Foto: Shane Wilkinson
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Am Donnerstag um kurz vor 8 Uhr verabschiedete sich der Zugchef des IR36 in Zürich von seinen Fahrgästen: «Ich möchte mich bei Ihnen für das zu knappe Platzangebot und die vielen defekten Türen entschuldigen.» Er tat mir leid.

Die Komposition war – wieder mal – verkürzt auf die Strecke gegangen. Kein Wunder, gab es nicht genügend Plätze. Ich war allerdings schon froh, dass der Zug überhaupt fuhr. Denn selbstverständlich ist das schon lange nicht mehr.

In den nächsten drei Monaten fallen pro Werktag rund 200 SBB-Verbindungen aus – weil Lokführer fehlen. Das krasseste Beispiel: Die Strecke von Lenzburg AG nach Zofingen AG ist bis Dezember komplett auf Busbetrieb umgestellt! Fahrgäste brauchen jetzt 62 statt 37 Minuten, Platz gibt es auch weniger, Veloverlad ist verboten, Zehntausende Liter Diesel werden verbrannt, während die Bahnstrecke unbenutzt in der Landschaft liegt.

Der neue SBB-Chef Vincent Ducrot kann dazu nur sagen: «Ich schäme mich!»

Vielleicht sollte sich besser sein Vorgänger schämen, denn der Grund für das fehlenden Personal ist Führungsversagen: Ist es denn so schwierig auszurechnen, wie viele neue Lokführer ausgebildet werden müssen, um die pensionierten zu ersetzen?

Noch erstaunlicher als diese Fehlplanung: dass sich die Empörung darüber in Grenzen hält!

Haben wir uns denn schon daran gewöhnt, dass Züge unpünktlich, mit zu wenigen Waggons, verdreckten Toiletten, defekten Türen oder überhaupt nicht fahren, dass die Schweiz mit ihren Bundesbahnen dabei ist, auf den Standard einer Bananenrepublik zurückzufallen?

Das darf nicht sein!

Die SBB müssen ihr Kerngeschäft im Griff haben, zumal weitere, auch unverschuldete Probleme hinzukommen: kurzfristig gibt es wegen Corona ein riesiges Defizit, langfristig ist völlig ungewiss, wie stark sich Homeoffice auf die Fahrgastzahlen auswirken wird.

Jeder neue Chef hat nur einmal die Möglichkeit, unbelastet von den Fehlern der Vergangenheit alles auf den Kopf zu stellen: ganz am Anfang. Für Vincent Ducrot heisst das: jetzt!

Die Voraussetzungen sind gut, dass er seine Chance packt. Er ist ein Bähnler durch und durch, präzis in der Analyse, ohne Brimborium im Auftritt. Bei seinem ersten grossen Interview gestand er im SonntagsBlick: «Wir werden rund zwei Jahre brauchen, bis wir bei der Pünktlichkeit wieder auf einem guten Niveau sind. Wir müssen das schaffen, das ist die DNA der SBB.»

Hoffen wir, dass er es schafft! Für uns Passagiere. Und für die rund 33'000 Bähnler, die jeden Tag mit enormem Einsatz alles daransetzen, die Fehler ihrer früheren Chefs auszubügeln. Ohne sie wäre die Schweiz tatsächlich eine Bahnanenrepublik.

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