«Wir brauchen zwei Jahre, bis wir wieder pünktlich sind»
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Neuer SBB-Chef zieht Bilanz:«Wir brauchen zwei Jahre, bis wir wieder pünktlich sind»

SBB-Chef Vincent Ducrot ist seit 100 Tagen im Dienst – eine Bilanz
«Wir brauchen zwei Jahre, bis wir wieder pünktlich sind»

Der neue SBB-Chef Vincent Ducrot zieht nach 100 Tagen eine ­erste Bilanz – und spricht übers Homeoffice mit sechs Kindern sowie seinen Vorgänger Andreas Meyer.
Publiziert: 05.07.2020 um 07:56 Uhr
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Aktualisiert: 02.01.2021 um 12:05 Uhr
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Der neue SBB-Chef Vincent Ducrot auf dem Perron in Yverdon-les-Bains.
Foto: Philippe Rossier
Interview: Thomas Schlittler und Christian Dorer

Vincent Ducrot (57) ist ein Bähnler alter Schule. Das zeigt sich schon auf dem Perron in Yverdon-les-Bains VD, wo er eine historische Loko­motive auf dem Nebengleis bewundert und uns über deren Geschichte aufklärt. Am 1. April, mitten in der Corona-Krise, hat Ducrot die Leitung der Bundesbahnen übernommen und damit auch alle Probleme: die Verspätungen, den Lok­führermangel, die Pannen­züge ... Jetzt gibt er im SonntagsBlick sein erstes grosses Interview – im Speise­wagen nach Zürich, bei Weissweinrisotto und Cola Zero.

Herr Ducrot, wie hat sich Ihr Leben verändert?
Vincent Ducrot:
Der erste Arbeitstag war sehr speziell: Es waren nur fünf Leute am Hauptsitz! Danach musste ich die Firma oft vom Homeoffice aus führen.

Waren alle Ihre sechs Kinder im Alter von zwölf bis 26 Jahren zu Hause?
Ja, jeder hat sein eigenes Zimmer. So hat das bestens funktioniert. Eine Gross­familie hat eine spezielle Dynamik. Die Kinder sind es sich gewohnt, alles zu teilen. Manchmal war das Netzwerk in unserem Haus überlastet, dann musste ich eingreifen (lacht).

Vor drei Jahren ist Ihre Frau verstorben. Wie bringen Sie Ihren neuen Job und die Familie unter einen Hut?
Ich schlafe nicht sehr viel und bin gut organisiert. Unsere Familie steht ständig in sehr engem Austausch. Gerade vorher habe ich per Whatsapp ein paar Fotos geschickt. Meine Kinder wissen, dass sie immer anrufen können. Zudem schauen die Älteren viel auf die Jüngeren.

Von Ihrem Wohnort Echarlens im Kanton Freiburg nach Bern-Wankdorf haben Sie mit dem ÖV anderthalb Stunden. ­Pendeln Sie täglich?
Ja, vorderhand schon. Ich fahre mit dem Auto nach Freiburg und nehme dort den Zug. Über kurz oder lang werde ich jedoch ­während der Woche eine Wohnung in Freiburg or­ganisieren für mich und die jüngsten Kinder.

Viele Menschen wollen auch nach Corona Homeoffice. Wie viele Passagiere verlieren Sie für immer?
Ich erwarte langfristig ­keinen Rückgang, sondern bloss eine Verlangsamung des Wachstums. Corona ist nur eine Phase und wird den Verkehr nicht nach­haltig verändern. 2001 war ich Fernverkehrschef. Nach dem Attentat in New York wollte niemand mehr mit dem Zug ins Ausland fahren. Anderthalb Jahre später waren wir wieder bei 100 Prozent. Auch jetzt sind wir in zwei, drei Jahren wieder bei 100 Prozent.

Ab Montag gilt im ÖV Maskenpflicht. Steigen dann noch mehr Leute aufs Auto um?
Unsere interne Marktforschung geht davon aus, dass wir genauso viele Passagiere gewinnen werden, wie wir verlieren – weil sich viele mit Maske wieder wohlfühlen im Zug.

Wann wird die Maskenpflicht wieder abgeschafft?
Waren Sie schon mal in ­Asien? Immer wenn eine Grippe startet, tragen die Leute eine Maske, und wenn die Grippe vorbei ist, legen sie sie wieder weg. Auch wir müssen uns an die Maske gewöhnen, vorerst mal, bis die Impfung da ist.

Diese Woche trug praktisch niemand eine Maske. Wird das am Montag wirklich klappen?
Ja. Auch ich trage heute noch keine Maske, wenn ich Abstand halten kann. Ab Montag werde ich sie im ÖV aber immer tragen.

Der Bund gewährt den SBB Kredite, um die ­Liquidität sicherzustellen. Wo werden Sie sparen, um diese Kredite zurückzuzahlen?
Wir geben jährlich rund zehn Milliarden Franken aus. Da bringt eine Einsparung von fünf Prozent 500 Millionen! Das kriegen wir hin, indem wir überall optimieren, etwa Projekte verzögern und Marketingausgaben drosseln. Das Personal und die Kunden werden nichts merken. Es wird keinen Stellenabbau geben und für die nächsten zwei, drei Jahre bestimmt keine Preiserhöhung.

Das grösste Übel für die Kunden sind die Ver­spätungen. Was tun Sie dagegen?
Dieses Thema hat höchste Priorität für mich. Wir werden pro Jahr zusätzlich 300 Millionen Franken in unsere Züge investieren, um mehr Reserven zu haben und die Zuverlässigkeit zu verbessern. Insgesamt sind es 1,3 Milliarden Franken jährlich. Bis Ende Jahr haben wir wieder genügend Lokführer, weil wir unsere Klassen wegen der angespannten Wirtschaftslage locker füllen. Die Lokführer werden künftig auf mehr Strecken und mehr Zügen geschult, damit wir sie flexibler einsetzen können. Des Weiteren wollen wir Baustellen besser planen – letztes Jahr hatten wir zu wenige im Frühling und zu viele im Herbst. Zudem werden wir mehr Reserven in den Fahrplan einbauen.

Dann dauert die Fahrt künftig länger?
Ja, aber nur wenige Minuten. Ein Beispiel: Die Fahrt von Lausanne nach Bern dauert gemäss Fahrplan 66 Minuten. Wenn der Zug ohne Einschränkung fahren könnte, bräuchte er bloss 59 Minuten. Wegen der vielen Baustellen schaffen wir aber derzeit nicht einmal die 66 Minuten – und wenn ein Zug erst mal Verspätung hat, holt er sie nicht mehr auf. Bereits im Fahrplan vom Dezember werden wir punktuell mehr Reserven einplanen. Weitere Anpassungen wird es frühestens Ende 2021 geben.

Ab wann werden die Züge wieder pünktlich?
Wir werden rund zwei Jahre brauchen, bis wir bei der Pünktlichkeit wieder auf ­einem guten Niveau sind. Wir müssen das schaffen, das ist die DNA der SBB!

Wieso wurde die Pünktlichkeit überhaupt vernachlässigt?
Wahrscheinlich hatte das Thema weniger Management-Attention. Grossen Einfluss hatten zudem die verspäteten Bombardier-Doppelstockzüge, die vermehrten Türstörungen sowie die Zunahme der Baustellen. Solche Dinge haben in unserem Bahnsystem grosse Konsequenzen.

Für das Debakel mit den Doppelstockzügen sind Sie mitverantwortlich: Sie haben damals als Personenverkehrschef ad interim diesen Vertrag unterschrieben.
Was wir damals unterschrieben haben und was jetzt geliefert wurde, ist nicht das Gleiche. Es gab von beiden Seiten viele Änderungen und das Projektmanagement war wohl nicht straff genug. Zudem hatten wir zu wenig Zeit eingeplant für Entwicklung und Inbetriebnahme. Jetzt aber wird der Zug immer besser, die Pannenanfälligkeit nimmt ab, und das Schütteln reduziert sich aufgrund einer neuen Software und Anpassungen an den Drehgestellen. Wir haben aber unsere Lehren gezogen und werden bei künftigen Zügen zuerst mit Prototypen arbeiten, wie das früher der Fall war.

Vincent Ducrot persönlich

Vincent Ducrot (57) ist seit April 2020 neuer CEO der SBB. Der Freiburger war schon früher, von 1993 bis 2011, im Projektmanagement bei den Bundes­bahnen tätig – bis er 2011 zum General­direktor der Freiburgischen Verkehrsbetriebe (TPF) ernannt wurde. Privat musste ­Ducrot 2017 einen ­schweren Schicksalsschlag ­hinnehmen: Seine Frau starb nach langer, schwerer Krankheit. Seither ist er alleinerziehender Vater von sechs Kindern.

Vincent Ducrot (57) ist seit April 2020 neuer CEO der SBB. Der Freiburger war schon früher, von 1993 bis 2011, im Projektmanagement bei den Bundes­bahnen tätig – bis er 2011 zum General­direktor der Freiburgischen Verkehrsbetriebe (TPF) ernannt wurde. Privat musste ­Ducrot 2017 einen ­schweren Schicksalsschlag ­hinnehmen: Seine Frau starb nach langer, schwerer Krankheit. Seither ist er alleinerziehender Vater von sechs Kindern.

Ihr Vorgänger Andreas Meyer wurde dafür kritisiert, dass er grosse Mobilitätskonzepte erarbei­tete und dabei das Kern­geschäft vernachlässigte. Werden Sie das anders machen?
Das Kerngeschäft zu stärken, ist der klare Auftrag an mich. Die SBB müssen dafür sorgen, dass man einen Parkplatz reser­vieren kann, wenn man sein Zugticket kauft. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, Mobi­litätskonzepte oder irgend­einen Veloverleih aufzubauen. Das können andere besser. Bahnnahe Innovationen hingegen sind mir sehr wichtig.

Das ist eine indirekte Kritik an Ihrem Vorgänger.
Nein, es war einfach eine an­dere Zeit. Andreas kam zu den SBB, als man mehr Drive brauchte, weg von der Be­am­tenstruktur. Jetzt braucht es ­jemanden, der den Betrieb ­stabilisiert. Und nach mir braucht es vielleicht einen Inno­vator oder einen Financier.

Andreas Meyer verdiente zeitweise klar mehr als eine Million Franken pro Jahr. Wie ist es bei Ihnen?
Ich habe weniger Lohn. Dieser darf inklusive Pensionskasse, Kinderzulagen et cetera nicht mehr als eine Million betragen. Vorher gab es keinen Lohn­deckel. Aber ehrlich gesagt: Ich habe nie genau gewusst, wie viel ich verdiene. Das ist mir absolut egal. Ich liebe ­diesen Job und ich liebe diese Firma.

Hätten Sie den Job auch für die Hälfte angenommen?
Ich hätte ihn auch für einen Lohn von einer halben Million Franken gemacht. Ich wurde ­x-mal angefragt von Headhuntern. Und ich habe ihnen immer geantwortet, dass ich nur zu ­einer Firma wechsle: zu den SBB!

Wieso arbeiten Sie dann nicht für eine halbe Million? Das Personal würde Sie feiern!
(Lacht) Man muss die richtige Balance finden beim Lohn­gefüge. Mein Lohn ist okay ­angesichts der Verantwortung und hat einen grossen varia­blen Anteil. Dieser wird neu nicht mehr individuell ver­geben, sondern ist für alle gleich. Neu hängt also die Lohnvariable beim Infrastruktur-Kollegen auch von der Pünktlichkeit ab. Sie können aber beruhigt sein: Dieses Jahr werden wir alle wegen Corona einen sehr tiefen ­Bonus haben.

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