Künstlerin Marina Abramović ist mit einer Retrospektive im Zürcher Kunsthaus zu Gast. Wer sie sehen will, muss sich zwischen zwei nackten Menschen hindurchzwängen, die in einem Türrahmen stehen.
Das war schon 1977 so, als «Imponderabilia» in Bologna (I) uraufgeführt wurde. 47 Jahre später gibt es allerdings einen Unterschied: Neben den hüllenlosen Schauspielern existiert ein Noteingang für Zartbesaitete – eine sichere Passage ganz ohne Körperkontakt.
Ein Kompromiss, sagt Abramović. Man könnte auch sagen: eine Konzession an den Zeitgeist.
Das ist an sich nichts Neues. Im 19. Jahrhundert entschärfte Édouard Manet sein Gemälde «Olympia», um das prüde Pariser Bürgertum zu besänftigen. Und James Cameron schnitt 1998 den Sex aus der Liebesszene seines Blockbusters «Titanic», um eine strengere Altersfreigabe und damit einen Flop an den Kinokassen zu verhindern.
Kunst soll aber begeistern und darf wehtun. Marina Abramovićs Werk provoziert, zwingt zum Nachdenken, fordert heraus. Indem die Kunsthaus-Verantwortlichen ihren Besucherinnen und Besuchern nun eine Light-Version von «Imponderabilia» anbieten, machen sie das auf Kosten der Relevanz. Dabei geht es nur vordergründig um Inklusion. In Wahrheit wird hier die Kernbotschaft eines Werks dem Kommerz geopfert. Kunst verkommt so zur Dekoration.