Um zehn Prozent, schrieb letztens der britische «Telegraph», steigert sich die Durchblutung des Hirns beim Betrachten von Kunst. Weitere Studien zeigen, dass ein Besuch in einem Kunstmuseum Dopamin ausschüttet und die kognitiven Fähigkeiten verbessert. Grund genug für eine Vorschau darauf, was uns dieses Jahr in den Museen erwartet.
Das entrückte Licht von Ferdinand Hodler
In jeder Nervenheilanstalt sollten sich grossformatige Bilder – oder wenigstens Kunstdrucke – von Ferdinand Hodler (1853–1918) befinden. Die Landschaften, um genauer zu sein. Denn wer in Hodlers entrücktes, kühles Licht und die oft kalkartig blauen und grünen Farbschattierungen schaut, verliert sich in den lichten Weiten seiner Darstellung, bekommt Luft zum Atmen und wird innerlich ruhig. Die Porträts und Alltagshandlungen zeichnen sich wiederum durch eine Art trockene Distanz aus, die ihresgleichen sucht. Ein Besuch im Kunsthaus Zürich, das Werke von Hodler denen zeitgenössischer Künstler gegenüberstellt, zeigte einem so nicht nur die fortwährende Aktualität des grossen Schweizer Malers auf, sondern wird ganz einfach auch zur Nahrung für die Seele.
Apropos Hodler. Ab 8. März im Kunsthaus Zürich
Albert Anker im Kunstmuseum Bern
Viele verunglimpfen sein Werk als Kitsch: zu fotografisch die Genauigkeit, zu satt und leuchtend die Farben, zu anrührend seine Motive aus der bäuerlichen Schweiz. Genauso viele lieben ihn aber – und die Chefkuratorin des Kunsthauses Bern, Kathleen Bühler (53), sieht in ihm sogar einen frühen Fürstreiter für die Rechte der Frauen. In einer ganzen Reihe hat Albert Anker (1831–1910), der sich auch als Politiker für die Bildung junger Menschen einsetzte, lesende und schreibende Mädchen und junge Frauen porträtiert. Das Kunstmuseum Bern versammelt anlässlich der Eröffnung des Centre Albert Anker in Ins BE im Frühling 2024 die Porträts dieser Mädchen und Frauen – von denen in geballter Sammlung eine ganz eigene Kraft ausgeht: Vertiefung und Konzentration zeigen die Arbeiten, also eigentlich das riesige, wunderschöne, urmenschliche Potenzial, das der Bildung und Innovation innewohnt.
Albert Anker. Lesende Mädchen. Ab 22. März im Kunstmuseum Bern
Henri Matisses tanzende Formen
Wer von Pablo Picasso öffentlich bewundert wird und einmal wöchentlich seinen Hund mit dem Chauffeur zum Hundecoiffeur schickt, lebt in einer anderen Liga. Wie Henri Matisse (1869–1954), dem die Fondation Beyeler ab Ende September eine grosse Retrospektive widmet, die erste im deutschsprachigen Raum seit zwanzig Jahren. Matisse, der im späteren Leben krankheitsbedingt in einen Rollstuhl oder ans Bett gefesselt war, entwickelte aus schierer Not eine neue Farben- und Formensprache, die ein ganzes Jahrhundert prägte. Seine Scherenschnitt-Collagen mit stark reduzierter Farben- und Formensprache prägte ein ganzes (Kunst-)Jahrhundert: Fauvismus nennt man den von ihm entwickelten Stil, und er findet sich auf Kleidungsstücken, Alltagsgegenständen und hunderttausendfach verkauften Postkarten und Postern.
Matisse – eine Einladung zur Reise. Ab 24. September in der Fondation Beyeler, Riehen BS
Starke, arme Frauen bei Paula Rego
Paula Rego (1935–2022) gilt in England und Portugal als Kunststar, hierzulande ist sie einem breiten Publikum eher unbekannt. Dabei wäre ihre Arbeit gerade für die in Gleichstellungsfragen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr rückständigen Schweiz wichtig: Rego hat sich zeitlebens für die Stellung der Frau in der Gesellschaft und für ihre Rechte, insbesondere auch Abtreibungsrechte interessiert und eingesetzt. Ihre Frauenfiguren sind oft arbeitend, oft auch Gewalt oder sozialen, politischen und sexuellen Machtdynamiken ausgesetzt. Dennoch zeichnet sich ihr Werk durch abgründigen Humor aus. Das britische Königshaus erhob die in Lissabon geborene Künstlerin, die zeitlebens in London arbeitete, im Jahr 2010 in den Damenstand – das weibliche Äquivalent zum Ritterschlag. Das Kunstmuseum Basel richtet der 2022 verstorbenen Künstlerin eine grosse Retrospektive mit diversen Schlüsselwerken aus ihrem Lebenswerk aus.
Paula Rego, Machtspiele. Ab 28. September im Kunstmuseum Basel
Marina Abramovic – Retrospektive im Kunsthaus Zürich
Fünfzig Jahre bereits währt die Karriere der Ausnahmekünstlerin Marina Abramovic. Ihre Performance «The Artist Is Present» machte weltweit Schlagzeilen in ihrer Einzigartigkeit: Drei Monate lang sass die Künstlerin täglich acht Stunden lang an einem Tisch und lud Zuschauer ein, sich ihr gegenüber hinzusetzen. Stumm und ohne körperliche Berührungen, nur über den Blick entstand so eine Verbindung, bei der viele Menschen zu weinen begannen. Diverse ihrer Werke beschäftigen sich damit, körperliche und psychische Grenzen zu erweitern und dies für das Publikum erfahrbar zu machen. Die Ausstellung im Kunsthaus Zürich mit Bildhauerei, Video, Installation und Performance ist die erste grosse Ausstellung des Kunststars in der Schweiz, die Einblick in das ganze Lebenswerk dieser einzigartigen Künstlerin gibt.
Marina Abramovic. Ab 25. Oktober im Kunsthaus Zürich