Über das Schicksal Amerikas entscheidet kein Geringerer als Gott persönlich. Zu diesem Schluss muss kommen, wer die Parolen des demokratischen Priesters Raphael Warnock (53) und des republikanischen Ex-Football-Stars Herschel Walker (60) hört. Die Südstaatler machen in der alles entscheidenden zweiten Runde der Senatswahlen in Georgia am 6. Dezember untereinander aus, welche Partei künftig im «Ständerat der USA» das Sagen hat. Und beide sind sicher: Eine höhere Macht hat sie entsandt, um die Welt vor ihrem politischen Gegner zu retten.
Warnock verkündet mit erhobenem Mahnfinger und gerunzelter Stirn bei jedem seiner Auftritte: «Herschel Walker ist ein Lügner – und damit ein Sünder in den Augen Gottes.» Der Republikaner gebe sich als Abtreibungsgegner, obwohl er selber mindestens zwei Ex-Partnerinnen zu Abtreibungen gezwungen habe. Walker kontert: «Dieser Priester Warnock kann nicht vergeben. Und wer nicht vergibt, ist ein schlechter Christ!»
Zwei Propheten, zwei Botschaften
Für die tiefgläubige Wählerschaft in Amerikas «Bible Belt» ist das ein Totschlagargument. Jegliche Verweise auf seine mutmasslich skandalöse Vergangenheit kann Walker damit problemlos kontern. Die Leichen in meinem Keller – was solls? Gott hat mir vergeben. Und wer nicht an Vergebung glaubt, wer mir also meine Vergangenheit vorhält, ist des Teufels!
Die Auseinandersetzung mit seinem Gegner sei ein «heiliger Kampf», ruft Ex-Footballer Walker. Jede Stimme für ihn selbst sei «wie ein Gebet», tönt Priester Warnock.
Zwei Propheten mit konträrer Botschaft. Sie machen es den oft tiefgläubigen Wählerinnen und Wählern im Bundesstaat Georgia nicht einfach. Wem soll man da jetzt glauben, welchem Frömmling folgen?
Trumps Irrglaube an die gestohlene Wahl
Schon fast erfrischend irdisch kommt da Donald Trumps (76) neueste Weisheit daher: «Wenn meine Kandidaten gewinnen, dann gebührt mir aller Ruhm. Wenn sie verlieren, dann sind sie selber schuld.» Das ist pure Power-Politik ohne schnulzige Verweise auf einen allmächtigen Mehrheitsmacher. Das ist Machtgehabe im Reinformat.
Zum Irrglauben wird Trumps Unglaube dann, wenn er nicht nur die himmlische Macht verpönt, sondern auch irdische Fakten verdreht. Am Dienstag wird der Ex-Präsident voraussichtlich ankündigen, dass er 2024 erneut ins Weisse Haus einziehen will. Dort sitze – und das zeugt von besagtem Irrglauben – ein Mann, der die Wahlen «gestohlen» und die Mehrheit geprellt habe, nämlich Joe Biden (79).
Trotz aller wirren Trompetentöne im entscheidenden Wahlkampf um Georgia sollte jedoch klar bleiben: Die grösste Gefahr für die amerikanische Politik geht nicht von der religiösen Verblendung einiger Senatskandidaten aus, sondern vom radikalen Irrglauben einer Minderheit, die partout nicht einsehen will, dass sie längst nicht mehr in der Mehrheit ist.