Die Demokraten haben die Zwischenwahlen verloren – und das ist gut für die USA und für Joe Biden (79). Der amerikanische Präsident kann tun, was er stets versprochen hat: kluge Lösungen für das gesamte Land hinzukriegen, und zwar über die Parteigrenzen hinweg. Die Voraussetzungen dafür haben die Wählerinnen und Wähler nun geschaffen.
Der zu erwartende Sieg der Republikaner im Repräsentantenhaus fällt knapper aus als prognostiziert. Die Mehrheitsverhältnisse im Senat dürften hauchdünn bleiben. Somit hat keine Partei einen klaren Auftrag erhalten, ihr politisches Programm durchzusetzen.
Alle sind in die Verantwortung einbezogen worden. Niemand kann den anderen dominieren. Verringert hat sich zudem die Gefahr einer politischen Blockade. Zumal sich vornehmlich konstruktive Republikaner durchgesetzt haben. Die Macht in Washington wird in den nächsten beiden Jahren geteilt sein. Die Demokraten kontrollieren das Weisse Haus, die Republikaner wohl zumindest eine Kammer im Kongress.
Niederlage als leiser Triumph
Um in dieser Situation etwas bewegen zu können, sind Kompromisse notwendig. Und davon profitieren letztlich die Bürgerinnen und Bürger. Sind alle Seiten am politischen Prozess beteiligt, gibt es in der Regel weniger extreme und somit bessere Gesetze.
Für Präsident Biden ist die Niederlage seiner Partei ein leiser Triumph. Trotz hoher Inflation und tiefer Beliebtheitswerte hat er in den Zwischenwahlen deutlich besser abgeschnitten als die Präsidenten Barack Obama (61) und Bill Clinton (76), die ihre Mehrheiten im Kongress jeweils nach den ersten beiden Amtsjahren klar verloren hatten.
Biden dürfte mit geteilter Macht besser umgehen können als seine demokratischen Vorgänger. Er hat einen grossen Teil seiner politischen Karriere im Senat verbracht und dort gelernt, wie man im Kongress Allianzen schmiedet und die Gegner einbindet. Jetzt kann er beweisen, dass er dazu noch immer im Stande ist.
Peter Hossli ist der Leiter der Ringier Journalistenschule, er war zwölf Jahre lang als Korrespondent in den USA tätig.