Darum gehts
- Katzen überwachen Victors Gesundheit und beeinflussen sein Wohlbefinden
- Die Katzen spüren Infektionen und warnen vor gefährlichen Blutzuckerschwankungen
- Ein Medikament für eine akute Infektion kostet 7000 Dollar
Ja, ich weiss: Ich beklage mich oft über sie. Sie behandeln mich mit einer Verachtung, die selbst das stärkste Selbstvertrauen erschüttern würde. Sie wecken mich mit geradezu schweizerischer Pünktlichkeit exakt eine halbe Stunde, bevor der Wecker klingeln würde. Egal, wann das ist.
Wie können sie das so genau wissen? Doch das ist nicht die einzige Superkraft, über die sie verfügen. Was sie auszeichnet, diese beiden herrischen siamesischen Schwestern, und warum ich ihnen immer wieder alles verzeihe, ist die Hingabe, mit der sie Victors Gesundheitszustand überwachen und sanft beeinflussen. Das mag seltsam klingen, und ganz ehrlich, wenn ich so etwas vor ein paar Jahren gehört hätte, hätte ich die Augen verdreht. Doch es ist tatsächlich so: Tildeli und Twylita sind komplett auf Victor eingestellt.
Sie spüren, schon bevor er es selber merkt, dass sich eine Infektion anbahnt. Dann weichen sie nicht von seiner Seite. «Was ist los, werd ich etwa wieder krank?», fragt er sich. Sie wecken ihn, wenn mitten in der Nacht sein Blutzuckerspiegel absackt, eine gefährliche Nebenwirkung seiner Medikamente, die ihn kurz nach der Transplantation schon einmal in ein zweiwöchiges Koma versetzt hat. Und etwas, das ich nicht merke, wenn ich neben ihm schlafe. Sie zwingen ihn, im Alltag regelmässige Pausen einzulegen, und vor Mitternacht ins Bett zu gehen.
Als vor ein paar Jahren ein seltener Krebs im Auge mit Chemotherapietropfen behandelt werden musste, schlugen sie mir regelmässig das Fläschlein mit der hochgiftigen Medizin aus der Hand. Ihren vorwurfsvollen Blick vergesse ich nie: «Du tust ihm weh, du dumme Kuh!» Jetzt war ich kaum in der Schweiz angekommen, als Victor etwas zerknirscht berichtete, dass er einen dieser ekligen, resistenten Krankenhauserreger aufgelesen hatte. Ich war allerdings schon erleichtert, dass er mir das überhaupt erzählte, ich glaube, zum ersten Mal in elf Jahren.
«Ich will nicht, dass du dir Sorgen machst», war bisher seine Devise. Dabei bewirkt er damit das Gegenteil, dass ich nämlich seinem täglichen «Mir gehts prima!» nicht mehr traue. Doch diesmal erzählt er mir, dass er krank ist, und ich bin dankbar dafür. Der Erreger wird identifiziert, ein Medikament verschrieben, eine Freundin steht bereit, um es in der Apotheke abzuholen. Doch dann stellt sich die Krankenkasse quer. Das tut sie grundsätzlich immer, aber im Fall einer akuten Infektion bleibt nun mal keine Zeit, um den zeremoniellen Walzer der Reklamationen und Rekurse zu tanzen.
«Egal, ich zahl das Medikament selbst», sage ich. «Milenita, es kostet siebentausend Dollar ...» Siebentausend Dollar? Für eine Runde Antiobiotika? Die Katzen weichen nicht von Victors Seite. Jedes unserer Videotelefonate unterbrechen sie, indem sie sich vor die Kamera drängen, das Hinterteil mir zugewandt. Schliesslich wird ein älteres, billigeres Medikament bewilligt. Victor behauptet, es ginge ihm besser. Er habe im Garten gearbeitet. Werkzeuge aussortiert. Ich möchte ihm glauben. Aber eben: Wie oft hat er mir das schon vorgemacht?
«Milenita, siehst du irgendwo Katzen?», fragt er schliesslich. Er geht mit dem Telefon die Treppe hoch ins Schlafzimmer, richtet die Kamera aufs Bett: keine Katzen. «Siehst du?» Ich sehe. Ich atme aus. Die Katzen machen sich offensichtlich keine Sorgen mehr. Also kann ich mich auch entspannen. Alles ist gut: Die Katzen schlafen auf dem Sofa.