«Kinder brauchen überall die gleichen Regeln»
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Schadet Omas Verwöhnprogramm?«Kinder brauchen überall die gleichen Regeln»

Erstes Jahr als Grossmutter
Ein Jahr der Liebe

Triggerwarnung Sentimentalität: Was immer man über die letzten zwölf Monate sagen kann, und das ist einiges, so waren es aber auch die ersten zwölf Monate im Leben meines Enkels.
Publiziert: 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11:09 Uhr
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Durch ihren Enkel erlebt Milena Moser, was bedingungslose Liebe bedeutet.
Foto: Shutterstock

Darum gehts

  • Milena Moser ist Grossmutter und hat einiges dazu gelernt
  • Kinder entdecken die Welt täglich neu mit Begeisterung und Lernbegier
  • Im ersten Lebensjahr lernen Menschen mehr als in jedem anderen Jahr
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Milena MoserSchriftstellerin

Gab es einmal ein Leben ohne ihn? Wenn ja, dann können wir uns nicht mehr daran erinnern, die wir jetzt um den Tisch und am Boden sitzen und gerührt zusehen, wie sich der Kleine an Möbelstücken hochzieht, ein paar Schritte durch den Raum torkelt und erstaunlich ungerührt bleibt, wenn er dann wieder hinfällt.

«Jetzt ist er kein Baby mehr», sagt seine Mutter etwas wehmütig. Der erste Geburtstag ist offenbar der offizielle Übergang vom Baby zum Kleinkind. Das wusste ich nicht. Ein Kleinkind stell’ ich mir irgendwie ... grösser vor. Aber der englische Begriff Toddler setze sich im deutschen Sprachraum auch langsam durch, höre ich. Und erinnere mich, wie mir meine erste Nachbarin in San Francisco damals erklärte, was das Wort bedeute. «Wenn du so wie ein betrunkener Seemann durch die Gegend torkelst. Einfach kleiner.»

Das trifft es ziemlich genau, nur dass mich der Anblick eines Betrunkenen niemals so rühren würde wie die ersten Schritte eines Kindes. Dieses Kindes. Ich versuche, mir vorzustellen, wie sich das anfühlt. Dieser Perspektivenwechsel plötzlich. Diese Freiheit. Als ob er die Welt neu entdeckte. Aber das tut er ja ohnehin jeden Tag.

Waren wir auch mal so? So unermüdlich, so lernbegierig, so begeisterungsfähig, so voller Liebe? Gab es eine Zeit in unserem Leben, in der wir das Konzept der Scham nicht kannten, der Verlegenheit, der Selbstzweifel? War es uns einmal vollkommen egal, was andere über uns denken könnten? Erfüllte uns auch einmal eine übermächtige Gewissheit, dass jeden Moment etwas ganz Tolles passieren könnte? Eine Schublade aufziehen, mit dem Kochlöffel auf den Boden klopfen, sich hinter dem Vorhang verstecken, am Handtuchwärmer hochklettern und der Mutter beinahe einen Herzinfarkt bescheren. Den besten Freund umarmen, ein Stück Kuchen in der Faust zerquetschen, die Buchseite mit der Raupe umblättern. Das Leben ist voller Abenteuer. Und durchaus auch Frust – doch der scheint schnell vergessen. Ein Wutausbruch, ein herzzerreissendes Schluchzen, und dann übernimmt die Lebensfreude wieder.

Nie wieder lernen wir so viel wie in unserem ersten Lebensjahr. Das ist erwiesen. Ich möchte jetzt nicht bluffen, aber ich behaupte, ich hätte im letzten Jahr auch etwas dazugelernt. Als Mutter habe ich keine Medaillen gewonnen, aber als Grossmutter möchte ich es besser machen. Also frage ich seit einem Jahr alle, die es angeht: Kinder, junge Eltern, Grossmütter. Worauf muss ich achten? Was vermeide ich besser?

Klar, einjährige Kinder kann ich nicht um ihre Meinung bitten. Grössere Kinder scheinen sich einig zu sein: Eine gute Grossmutter ist eine, die einen liebhat (check) und immer für einen da ist (hm). Von Grossmüttern: Da sein (autsch!). Zurücktreten. Machen lassen. Nicht vergleichen. Nie, nie, nie einen Satz mit «Das haben wir früher aber ...» beginnen! Von jungen Eltern: Zuhören. Nicht dreinreden. Nicht lügen: «Neiiiiiiin, natürlich hab ich ihr vor dem Abendessen kein Eis spendiert, wo denkst du hin!»

Ich habe viel gelernt in diesem Jahr. Nicht so viel wie mein Enkel, aber doch. Dass der Anblick dieses kleinen Menschen etwas in mir weckt, das ich nicht kannte. Dass seine Lebensfreude ansteckend ist und unwiderstehlich. Dass es mir eigentlich gar nie mehr so richtig schlecht gehen kann. Weil ich nur an ihn denken muss, damit ich mich besser fühle. Dass Handybildschirme vom zu vielen Küssen stumpf werden. Vor allem dies: dass ich einen unerschöpflichen Vorrat an Liebe habe.

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