Milena Moser über die kittende Wirkung eines Hundes
Die Miniaturtherapeutin

Manchmal nehmen wir den kleinen Zwergschnauzer unserer Nachbarn mit auf unseren Sonntagsspaziergang. Bella ist ein sehr empfindsames und empfindliches Tierchen, schreckhaft und ängstlich und gerade deshalb die perfekte Therapeutin.
Publiziert: 09:58 Uhr
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Aktualisiert: 10:40 Uhr
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Auf der Autofahrt zu einem städtischen Naturschutzpark merkt Autorin Milena Moser plötzlich, dass sie in die falsche Richtung fährt und schimpft sich selbst eine Idiotin.
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Auf einen Blick

  • Autofahrt in falsche Richtung führt zu Selbstreflexion und Hundebeobachtung
  • Ängstlicher Hund hilft Paar, ihre Kommunikation und Beziehung zu verbessern
  • Paar ist seit 35 Jahren zusammen und adoptierte Bella aus dem Tierheim
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Milena MoserSchriftstellerin

Letzten Sonntag war ich so abwesend, vielleicht auch angespannt, so voller Sorge um den Zustand der Welt, der Nation und meines Mannes, dass ich, ohne es zu merken, in die verkehrte Richtung fuhr. Dabei sind wir schon ungezählte Male durch den kleinen städtischen Naturschutzpark am Hafen spaziert, der in einer geraden Linie vom Haus meiner Freundin entfernt liegt, einfach die Hauptstrasse runter bis ganz an ihr Ende.

«Wo fährst du hin?», fragte sie. «Zum Heron's Head Park.» – «Der liegt doch in der anderen Richtung ...» – «Verdammt!», rief ich und bremste hart. «Was bin ich doch für eine komplette Idiotin!» Doch bevor ich mich noch länger selbst beschimpfen konnte, begann Bella auf dem Rücksitz zu wimmern. «Sie mag keine lauten Stimmen», erklärte meine Freundin und nahm das Hündchen in den Arm. «Sie erträgt keine Spannung.»

Ich auch nicht, dachte ich. Ich eigentlich auch nicht. Ich atmete ein paar Mal tief durch, und dann schüttelte ich den Kopf über mich. Dass ich mich wegen einer falschen Strasse so aufrege. «Gschäch nüt Schlimmers», murmelte ich, was sich nur schlecht auf Englisch übersetzen lässt. Auf dem Spaziergang umkreiste uns das Hündchen, als wolle sie uns zusammenhalten. Wenn ein grösserer Hund näher kam, versteckte sie sich hinter meiner Freundin. Zwischendurch hob ich sie hoch und drückte sie an mich, spürte ihr kleines Herz gegen meine Handfläche schlagen. Je mehr ich mich darauf konzentrierte, dass es ihr gut ging, desto besser ging es mir selber.

Und dabei dachte ich immer, man müsse stark sein, um andere zu stützen. Bella hingegen half mir gerade in ihrer zitternden Verwundbarkeit. «So ist es, wir helfen uns gegenseitig», bestätigten ihre Besitzer, als sie sie später bei meiner Freundin abholten. «Im Tierheim haben sie uns gewarnt, sie sei ein Problemhund. Und ja, sie ist ängstlich und hat Magenprobleme. Aber ich sag dir, Bella hat unsere Ehe gerettet.» Sie sind seit 35 Jahren ein Paar, doch als sie beide vor ein paar Jahren pensioniert wurden, veränderte sich ihre Beziehung. «Wir sind halt beide Alphamänner», sagte Doug. «Anwälte!», präzisierte Peter. «Beide gewohnt rumzubefehlen. Wir sind beide rechthaberisch und behalten gern die Kontrolle.»

Ohne es zu merken, begannen sie sich mehr und mehr und aus immer nichtigeren Gründen anzuzicken, beim Einkaufen, beim Kochen, beim Sport und im Auto. «Wir merkten gar nicht, wie das einriss, wie unser Umgangston immer ungeduldiger und schnippischer wurde. Doch dann adoptierten wir Bella, und schon auf dem Heimweg vom Tierheim war klar, dass wir das ändern mussten.» Sobald einer von beiden die Stimme anhob oder auch nur einen unfreundlichen Ton anschlug, begann der kleine Hund zu wimmern und zu zittern. Das konnte keiner der beiden aushalten.

Sie hielten sofort inne. Sie erzog die beiden zu einem geduldigen und gelassenen Umgang miteinander. «Stellt sich heraus, es gibt gar keinen Grund, sich ständig gegenseitig anzumeckern!» – «Je weniger wir uns gegenseitig anzicken, desto weniger Grund sehen wir, uns aufzuregen.» Peter nahm den Hund auf den Arm, Doug hängte sich bei ihm ein, die Leine und das Kissen unter dem anderen Arm. Zusammen gingen sie die Strasse hinauf, die Schultern aneinander gelehnt, eine Einheit.

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