Auf einen Blick
- Milena Moser hasst Sport. Doch bei einer Ausstellung lernt sie: Das Leben ist ein Teamsport
- Die Künstlerin Jean Shin ergänzt Trophäen mit Versatzstücken zu Alltagstätigkeiten
- Moser möchte solche Pokale, wie man sie aus kalifornischen Schulen kennt, am liebsten verteilen
Meine fehlende Begeisterung für alles, was mit Sport zu tun hat, ist ein klarer Fall von sauren Trauben: Ich bin halt eine absolute Niete in allem, immer schon. Victor hingegen war zu gesünderen Zeiten Tänzer, Kanufahrer, Bergsteiger, Bogenschütze und was weiss ich. Aber die Frage «Wer gewinnt?» findet er irrelevant. Allerdings hat er früher, als er noch Kunst unterrichtete, gern den Sportbund in den Unterricht mitgebracht. «Das interessierte die Jugendlichen mehr, als griechische Statuen abzuzeichnen, und der Lerneffekt ist derselbe.»
Was uns in dieser Ausstellung erwartet, wissen wir nicht, aber wir werden gleich mit der Geräuschkulisse eines tobenden Stadions empfangen, und das gefällt uns natürlich. Besonders lange bleiben wir vor einer Installation stehen, die aus lauter billigen Pokalen und Trophäen besteht, wie sie hier in Schulen verteilt werden. Das konservative Amerika macht sich gern über das «verweichlichte» Kalifornien lustig, unter anderem mit dem Argument, dass hier «alle Kinder eine Trophäe kriegen». Selbst wenn sie Nieten sind. Wie ich früher.
Tatsächlich haben meine Kinder, als wir hier lebten, solche Auszeichnungen für «besonderen Teamgeist» und «Durchhaltewillen» nach Hause gebracht. Sie waren stolz darauf, und sie haben Sport nie gehasst. Nicht so wie ich. Vielleicht hätte ich auch einfach einmal eine Auszeichnung gebraucht. Denn hassen kann man ja nur das, was einem verschlossen bleibt, was man nicht versteht. In dieser Installation geht es aber um etwas anderes. Die Künstlerin Jean Shin hat die Trophäen mit Versatzstücken aus dem Alltag ergänzt. Jetzt sind es Auszeichnungen für Tätigkeiten, die wir normalerweise nicht als aussergewöhnliche Leistung wahrnehmen, die oft sogar vollkommen unbeachtet bleiben.
Schnee schaufeln, die Post austeilen, den Müll raustragen. Einen Kinderwagen schieben. Kochen, einkaufen, einen Reifen wechseln. Sogar Lesen und Schreiben sind vertreten. Wir versuchen, jede einzelne Tätigkeit zu identifizieren, wir zeigen mit dem Finger auf dies und das, wir lachen. Und dann verstehe ich etwas, das ich mein Leben lang ahnte, etwas, das ich oft versuchte, in Geschichten auszudrücken und festzuhalten: Die Bewältigung des Alltags ist eine sportliche Disziplin. Das Leben selbst ist Sport, im besten Fall ein Teamsport.
Später auf dem Heimweg versuchen wir, uns an all die Auszeichnungen zu erinnern, die wir gesehen haben, und dann erfinden wir unsere eigenen. Eine Trophäe für das wöchentliche Einsortieren der 18 verschiedenen Medikamente in Tagesrationen. Für das Ausfüllen der Steuererklärung, für schwierige Telefonate, für die Überstunden und das Steckenbleiben im Stau, für das Nachliefern der vergessenen Turnsachen, für das Wechseln der Bettwäsche mitten in der Nacht, für das Lächeln im Treppenhaus. An manchen Tagen verdient schon der Akt des Aufstehens am Morgen eine Auszeichnung.
«Mein Freund Stephen hat solche Schultrophäen auf Flohmärkten aufgekauft und gesammelt», erinnert sich Victor. Und ich denke, das sollten wir auch tun und diese Trophäen dann verändern und ergänzen, so ähnlich wie es die Künstlerin getan hat. Ich stelle mir vor, wie wir sie dann links und rechts verteilen, an die Briefträgerin, den alten Mann an der Bushaltestelle, die Aushilfe im Gemüseladen, den kleinen Jungen, der im Vorbeigehen frustriert gegen unser Türgitter tritt. Und, warum nicht, an uns selbst.