Milena Moser über die Solidarität in L.A.
Es brennt

Unseren Freunden geht es gut. Unseren Freunden in Los Angeles, meine ich. Und gut heisst in diesem Zusammenhang auch nur: Sie wurden bis jetzt von den Bränden verschont.
Publiziert: 08:54 Uhr
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Milena Moser schreibt für Blick über das Leben. Sie ist Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Der Traum vom Fliegen».
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Feuer in Los Angeles: Solidarität gibt Halt
  • Freunde organisieren Hilfe für Betroffene, verteilen Essen und Wasser
  • Eine Cousine hat Evakuierte aufgenommen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Milena MoserSchriftstellerin

Jetzt, in diesem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, ist das so: Alle unsere Freunde und Bekannten in Los Angeles sind in Sicherheit. Doch dasselbe gilt leider nicht unbedingt für deren Freunde, Verwandte und Bekannte. Aber ich masse mir nicht an, für die Betroffenen zu sprechen. Ich werde das Leiden, das ich mir gar nicht vorstellen kann, nicht aus dritter Hand beschreiben. («Der Katastrophentourismus ist das Schlimmste», sagte eine Freundin. «Es gibt Leute, die zieht das Leiden anderer geradezu an.»)

Ich bilde mir nicht ein, zu wissen, was in einem Menschen vorgeht, der alles verloren hat. Jedes Kinderbild, jedes amtliche Dokument, jedes Kleidungsstück, jedes Buch. Jeden Liebesbrief, jeden Stuhl, jede Erinnerung und das Dach über dem Kopf. Im Gegenteil, solche Katastrophen machen mir bewusst, wie tief mein Sicherheitsbedürfnis reicht und wie sehr es mich erschüttert, wenn ich daran erinnert werde, dass es diese Sicherheit nicht gibt. Nicht wirklich. Das Leben ist ein Kartenhaus, es könnte jederzeit in sich zusammenfallen. Die einzelnen Bestandteile vom Wind aufgehoben und weggeweht werden. Ich stelle mir das vor, Spielkarten, die in der Luft tanzen. Ascheflocken. 

«Aber so ist es im Grunde doch immer», sagt eine andere Freundin, die Pragmatische unter uns. «Die einzige Gewissheit, die wir haben, ist, dass es keine Gewissheit gibt. Nichts ist im Leben garantiert, ausser dem Tod ...» «... und der Steuerrechnung», fallen wir anderen ein. «Ja, ja!»

Sie hat ja recht, meine Freundin. Das ist die Grundlage aller Philosophien und Religionen: Wir können nichts festhalten und nichts mitnehmen. Aber es ist eben auch ein urmenschliches Bedürfnis, genau das zu tun: uns festzuhalten. An anderen Menschen, an Gewissheiten, aber auch an Dingen.

Und ich glaube, das treibt uns alle um, die wie wir nicht direkt betroffen sind. Gleich nach dem Mitgefühl kommt die Verunsicherung: Wenn das möglich ist, was kann denn noch passieren? Was droht uns sonst noch? 

Einmal mehr ist etwas eingetreten, von dem wir ziemlich sicher waren, es sei nicht möglich. Dass ausgerechnet während der ohnehin gefürchteten Santa-Ana-Stürme ein Feuer ausbricht. Dass ganze Stadtteile in kürzester Zeit niederbrennen, in Schutt und Asche liegen. Die Stadt der Engel, die Traumfabrik Amerikas, das kann doch nicht sein?

«Jetzt ist aber genug gejammert», sagt meine pragmatische Freundin. «Lass uns was tun!» Sie ist in Los Angeles aufgewachsen, hat noch Familie dort, Tanten und Cousinen und Nichten, tatkräftige Frauen wie sie. Diese Frauen haben sich sofort organisiert. Sie verteilen Wasserflaschen und selbst gekochtes Essen, sie fangen entlaufene Haustiere ein und sammeln Geld für Kinderspielsachen. Eine Cousine hat Evakuierte bei sich untergebracht, eine andere eine ganze Familie aufgenommen. «Und weisst du was, die, die am meisten verloren haben, sind am schnellsten bereit, zu helfen.»

Daran denke ich, wenn ich den Impuls spüre, mich auf den Boden zu werfen und zu täubeln wie ein dreijähriges Kind. Wenn etwas in mir schreit: Nein, nicht noch mehr Katastrophen, nicht noch mehr Leid, ich ertrag es nicht! Dann denke ich an diese Frauen und ziehe mein Portemonnaie aus der Tasche. Es mag keine Sicherheit geben, aber es gibt Solidarität. Und das ist etwas, woran ich mich festhalten kann.

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