Darum gehts
- Unterschiede in der Pensionierung zwischen Amerika und der Schweiz
- Finanzielle Sorgen und Arbeitsnotwendigkeit im Alter in den USA
- 79-jährige Linda organisiert Ausstellungen nach Zwangspensionierung von der Kunstschule
- Milena Moser hat Freundinnen, die immer ein Bett für sie und Victor haben
Einer der grössten Unterschiede zwischen Amerika und der Schweiz ist, vom akuten politischen Chaos mal abgesehen, das Konzept der Pensionierung. Des Pensioniert-Werden-Könnens oder vielleicht auch -Müssens. Meine Freundinnen in Kalifornien planen den Rücktritt aus dem Berufsleben nach der Frage, ob sie es sich überhaupt leisten können. Die meisten können es nicht. «Ich hasse es, nichts zu tun», sagt Linda, die mit 79 das Unterrichten aufgegeben hat, nicht freiwillig, sondern weil die altehrwürdige Kunstschule, an der sie ihr Leben verbracht hat, Konkurs gegangen ist.
Jetzt organisiert sie Ausstellungen und unternimmt abenteuerliche Reportagenreisen. Dabei wird sie von ihren ehemaligen Studierenden unterstützt. Alle sagen, sie hätten nie eine bessere Lehrerin gehabt, und wenns nach ihr gegangen wäre, würde sie immer noch im Klassenzimmer stehen.
Carol hingegen bleibt nicht viel anderes übrig, als nach der Zwangspensionierung, sprich Wegrationierung ihrer Stelle, als Begrüsserin bei einem Grossverteiler zu arbeiten. Dieser ist dafür bekannt und wird auch dafür gelobt, dass er viele «ältere Leute» beschäftigt. Dass er diese lausig bezahlt, wird hingenommen. «Hauptsache krankenversichert», sagt Carol, bevor sie mit Todesverachtung die blaue Polyesterweste über ihren Pullover zieht. Diese Probleme stellen sich in der Schweiz eher nicht, trotzdem scheint die Frage nach der finanziellen Versorgung Menschen über fünfzig geradezu zu verfolgen.
Ich weiss nicht, wie oft ich hier gefragt werde, wie es bei mir aussehe, auch von Leuten, die ich gar nicht gut kenne. Die ehrliche Antwort ist, ich habe keine Ahnung. «Solange ich einen Bleistift halten kann, schreibe ich», sage ich trotzig. Wie Linda kann ich mir gar nicht vorstellen, nicht zu arbeiten. Aber wer weiss, was das Leben mit mir vorhat? Und zum Glück habe ich ja meine Freundinnen. «Du weisst, dass du jederzeit zu uns kommen kannst», sagen sie. «Wir haben immer ein Bett für Victor und für dich. Wir haben immer einen Teller für euch auf unserem Tisch.»
Natürlich hoffe ich, diese Angebote nie in Anspruch nehmen zu müssen, denn Hilfe annehmen ist immer noch ein Problem für mich. Ich arbeite daran, ich übe im Kleinen. Aber trotzdem ist da tief in mir drin ein ruhiger Ort, eine stabile Mitte in meinen Gedankenkreiseln und Sorgenspiralen, die stille Gewissheit: Ich bin sicher. Mir kann nichts passieren. Oder eher: Wenn mir etwas passiert, bin ich nicht allein. Was für ein Geschenk. Was für ein Reichtum. Ist das nicht wichtiger, stützt das nicht stabiler als jede zweite oder dritte Säule?
«Das eine schliesst das andere doch nicht aus!» Meine älteste und pragmatischste Freundin nimmt mich ins Gebet. «Irgendetwas musst du irgendwann in deinem Leben einbezahlt haben! Irgendetwas hast du auch wieder zugute.» Sie wühlt sich durch die Kiste, in der ich die «amtlichen» Papiere aufbewahre. Lobt mich schon allein dafür, fürs Aufbewahren. Sie forscht im Netz, sie findet einen Link, einen Fragebogen, sie warnt mich, es sei etwas kompliziert, und bietet gleich an, die entsprechenden Formulare mit mir zusammen auszufüllen. «Du wirst sehen, es ist alles viel weniger schlimm, als du denkst!»
Noch bin ich für dieses Unterfangen nicht bereit. Die Frage nach der Vorsorge kann ich also immer noch nicht schlüssig beantworten. Während ich mich emotional auf diese Ämterodyssee vorbereite, weiss ich immerhin eins: Meine Altersfürsorge ist gesichert.