Mein Freund Ronny teilt meine Begeisterung nicht. Aber das tut er selten. Seit ich ihn kenne, seit über 25 Jahren, macht er sich über meine Naivität lustig. Auch jetzt, als ich mich über das rosa Dreieck auslasse, das ich neulich beim Sonntagsspaziergang entdeckt habe. Das Mahnmal auf den Twin Peaks erinnert an das Abzeichen, das Homosexuelle während der Nazizeit zu tragen gezwungen waren. Es erinnert an die Opfer dieser Zeit.
«Weisst du noch, wie das mal als Nacht-und-Nebel-Aktion von Aktivisten begonnen hat, die fürchten mussten, verhaftet zu werden?», frage ich. «Und jetzt ist es offiziell Teil der städtischen Festlichkeiten!» Dieselben Aktivisten von damals haben das Dreieck ausgelegt. Statt sich vor der Polizei zu verstecken, erklären sie ihr Anliegen vor Fernsehkameras. Aber, wie gesagt, Ronny teilt meinen Optimismus nicht.
«Augenwischerei», sagt er. «Achte mal drauf, wie viele mit Regenbogen verzierte Werbemails du diesen Monat kriegst. Alle Konzerne schmücken sich damit. Aber meinst du, das heisst, dass sie ihre Angestellten fair behandeln? Dass wir gewonnen haben? Ha! Denk noch mal nach, Sweetie!»
Ich habe Ronny kurz nach unserer Ankunft hier vor 25 Jahren kennengelernt, als ich gleichgeschlechtliche Paare während einer der ersten Massenhochzeiten in City Hall interviewte. Ronny ist ein Veteran des Kampfes für gleiche Rechte, er lebt seit den 60er-Jahren hier, hat sich von Polizisten verprügeln lassen, während der Aids-Epidemie mehr Freunde verloren, als ich in meinem Leben je haben werde, und auch den Mann, den er damals geheiratet hat.
«Ich geb ja zu», sagt er jetzt ein wenig sanfter, «dass ich mich auch mal zwischendurch kurz in Sicherheit gewiegt habe.» Er habe sogar den Pride-Umzug ein paarmal ausgelassen, gibt er zu. Weil er dachte, es sei nicht mehr nötig. «Aber dieses Jahr gehen wir hin!»
Ende des letzten Jahrhunderts erlebten wir mit, wie gleichgeschlechtliche Paare stundenlang im Regen anstanden, um eine Heiratslizenz zu bekommen. Und wie Passanten sie mit Proviant und Regenschirmen versorgten, mit Klappstühlen und Puderdosen. Ich ignorierte die Gegendemonstranten, die mit Höllenfeuer drohten. Ich wollte an das Gute glauben.
Meine Kinder lernten ganz automatisch, dass es unterschiedliche Lebensformen gibt, unterschiedliche Bedürfnisse, unterschiedliche Familienkonstellationen. Ob ihre Freunde mit zwei Vätern aufwuchsen oder zwei Müttern oder ob diese oder jene Mutter bereits bei ihrer Geburt als Frau anerkannt wurde oder erst später, das interessierte sie nicht. Viel wichtiger war, welche Snacks in welcher Familie angeboten wurden und wie streng oder lasch die Bildschirmregeln waren. So geht es, dachte ich damals. Ich glaubte, dass Fortschritt ein linearer Prozess ist und dass es immer nur besser und besser werden würde.
Doch jetzt denke ich an eine Demo, an der ich letztes Jahr teilgenommen habe, bei der es um die rudimentärsten Frauenrechte ging, die in diesem Land soeben wieder negiert worden waren. Damals sah ich mehrere Frauen in meinem Alter, die Transparente trugen, auf denen sinngemäss stand: Ich kanns nicht glauben, dass ich immer noch für diesen Sch... auf die Strasse gehe!
Nichts ist sicher. Nicht die Rechte, die wir erkämpft, nicht der Fortschritt, den wir erreicht haben. Das musste irgendwann auch eine ewige, naive Optimistin wie ich einsehen.
«Okay», sage ich zu Ronny. «Du hast recht.»