Das, was ich als Kind schon am liebsten tat, Lesen nämlich und bald auch Schreiben, verlangt eine gewisse, auch körperliche Stille, eine Reglosigkeit, die mir oft als Faulheit ausgelegt wurde. Doch das war eine Einschätzung, mit der ich leben konnte. Die mir auch einen gewissen Schutz gewährte.
War ich faul, oder lebte ich einfach in meinen Geschichten, oder beides? Solange ich in Ruhe gelassen wurde, war mir das egal. Geschichten entstehen in der Leere, in diesem Moment zwischen Einatmen und Ausatmen. Im Nichts.
Es fällt mir noch heute schwer, eine klare Grenze zwischen Arbeit und Nichtstun zu ziehen. Zu wissen, wo das eine aufhört und das andere beginnt. Auch das hat mich schon als Kind beschäftigt. Ich bin ja Schriftstellerin der zweiten Generation. Mein Vater war damals der einzige Mann in der Nachbarschaft, der den ganzen Tag zu Hause war, wenn auch hinter der schalldichten Tür seines Arbeitszimmers verschanzt.
Was er da genau machte, wusste ich nicht. Die anderen Väter gingen morgens «zur Arbeit», meist «ins Büro», ein Begriff, unter dem ich mir auch herzlich wenig vorstellen konnte. Eines war aber klar: Wenn sie nach Hause kamen, brauchten sie Ruhe. Dann war auf einen Schlag fertig mit Spielen und Lärmmachen.
Als Kind war ich fasziniert von diesem Phänomen, dem Einzug der Väter, die von der Bahnstation kamen, die Jacke über dem Arm, die Aktentasche in der Hand. Die Kinder verschwanden, es wurde still. Manche kamen auch zum Mittagessen und legten sich danach oft zu einem kurzen Schläfchen aufs Sofa. Wer arbeitet, braucht auch Ruhe, verstand ich.
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Heute würde man von einer gelungenen Work-Life-Balance sprechen, mindestens, was die Väter anging. Mütter sah man selten auf dem Sofa liegen. Auch bei uns zu Hause nicht. Bei uns existierte diese klare Grenze zwischen Arbeit und Erholung nicht. Im heiligen Arbeitszimmer meines Vaters stand auch ein schmales Bett. Schlief er dort den ganzen Tag? Träumte er Geschichten?
Ich war kaum erwachsen, als ich selbst Mutter wurde. Und auf einen Schlag meinen Hang zum Nichtstun, zum Tagträumen, zum Löcher-in-die-Luft-Starren verlor. Oder eher ablegen musste. Und beinahe hätte ich diese hohe Kunst ganz verlernt. Neulich wurde ich gefragt, wie ich das damals hingekriegt habe. Ich wusste es nicht. Ich schaute zurück und schüttelte den Kopf, keine Ahnung. Ich träumte von frisch bezogenen Betten, das weiss ich noch.
Später, als meine Kinder grösser waren, füllte die Arbeit alle Lücken, die mein Privatleben hinterlassen hatte. Wie Wasser, das seinen Weg in die kleinsten Nischen und Hohlräume findet. Ich brauchte lange, zu lange, um einzusehen, dass auch eine Arbeit, die man liebt, zu viel werden kann.
Am Ende waren es die Geschichten, die mich zum Innehalten zwangen, die ihr Recht forderten. Die auf Ruhe bestanden, auf Leere. Auf diesen Momenten zwischen Einatmen und Ausatmen. Es waren die Geschichten, die mich daran erinnerten, dass ich mich hinlegen musste, um sie zu empfangen.
Und so liege ich auf der Couch und atme langsam, ein und aus. Es riecht nach frischem Kaffee und nach Zimtbrötchen. Der Wind rüttelt an den elektrischen Leitungen, die nachlässig über die Strasse gespannt sind. Ab und zu schlagen sie gegen das Fenster. Die Nachbarin übt Klavier. Irgendwo schnurrt eine Katze. Es ist ein perfekter Moment der Leere, die sich langsam füllt. Eine Geschichte entsteht.