Milena Moser
Sicherheitsdenken

Ganz sorgenfrei in die Zukunft schauen kann heutzutage wohl niemand mehr. Man müsste direkt blind, taub und bockig sein, um den Zustand der Welt zu verkennen. Doch davon abgesehen gibt es ein individuelles Sicherheitsempfinden. Worauf stützt sich das? Keine Ahnung!
Publiziert: 11.12.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.12.2022 um 19:52 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser (59) schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Mehr als ein Leben».
Foto: Barak Shrama Photography
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Milena MoserSchriftstellerin

Vor Jahren gab es einmal ein Magazinformat, das sich «Das indiskrete Interview» nannte. Da erzählten Prominente frisch-fröhlich von ihren sexuellen Erfahrungen, doch wenn sie nach ihrem Einkommen gefragt wurden, verschlossen sie sich wie Austern, die ihre Perlen nicht herzeigen wollen. Schweizer reden nicht über Geld, ausser sie leben im Ausland. Hier höre ich jedenfalls öfter von finanziellen Sorgen, interessanterweise meist von Bekannten, deren Einkommen ein Mehrfaches von meinem beträgt. Geld bedeutet offensichtlich nicht zwingend Sicherheit. Manchmal wird mir auch vorgerechnet, was es kostet, Kinder zu haben.

Nur gut, dass ich das nicht wusste, denn wie hätte ich sonst das in den Augen anderer Unmögliche gleich zweimal durchführen können? Meine Kinder haben meine finanzielle Unbesorgtheit nicht nur überlebt, sie haben sogar beide studieren können, worauf ich durchaus stolz bin. Wie hab ich das bloss gemacht? Nicht so gut, wie ich mir gern einbilde! Auch meine unterdessen erwachsenen Kinder haben ein ausgeprägteres Sicherheitsbedürfnis als ich, ihre dritten Säulen wachsen bereits in den Himmel, während meine noch kaum auf eigenen Füssen steht. Ob man sich sicher fühlt, hat also nichts mit den tatsächlichen Mitteln zu tun, die einem zur Verfügung stehen. Es gibt keinen Betrag, den der Kontostand erreichen kann, um anhaltende Sorgenfreiheit auszulösen.

Was ist es dann?

Vor ein paar Tagen diskutierte ich das mit zwei amerikanischen Freundinnen. Wir sind alle im selben Alter und finden uns in wackligeren Situationen wieder, als wir uns das für diesen Lebensabschnitt vorgestellt hätten. Zum Teil hätten wir dieser Entwicklung mit vernünftigeren Entscheidungen gegensteuern können, manche Aspekte entziehen sich aber auch unserer, oder überhaupt jeder Kontrolle. Trotzdem schauen wir der Zukunft unterschiedlich gefasst entgegen. Woran liegt das also?

«Ihr beiden habt als Kind bedingungslose Liebe erfahren», vermutet Theresa und schaut dabei Annette und mich an. Wir wechseln einen Blick. Annette bestätigt das, und führt ihre Zuversicht auf ihren Vater zurück, der immer felsenfest an sie glaubte. «Ich hab deshalb auch keine Mühe, um Hilfe zu bitten», wirft sie den Ball zurück. Etwas, das Theresa und ich eher schwierig finden. Das Gespräch wendet sich daraufhin anderen Themen zu, doch auf dem Heimweg denke ich darüber nach. Bedingungslose Liebe habe ich als Kind definitiv nicht erfahren. Und doch habe ich, ähnlich wie Annette, seit frühester Kindheit eine Art Urvertrauen ins Leben. Das unverbrüchliche Gefühl, dass sich schon alles irgendwie richten werde. Auch wenn es phasenweise gar nicht danach aussieht. Wo kommt das her? Was ist das?

«Na, Gott!», diagnostiziert ein gläubiger Freund, ein wenig erstaunt, dass ich nicht von selbst darauf gekommen bin. Doch ich bin nicht religiös, und keine der Gottvorstellungen im offiziellen Angebot hat je wirklich bei mir angeklungen. Und doch. Ich vertraue dem Leben und grundsätzlich auch den Menschen. Und das Leben, die Menschen, geben mir mehrheitlich recht.

Was ist es also? Es ist ein Geschenk. Und Geschenke soll man nicht hinterfragen, man soll sie dankbar annehmen. Und wenn möglich teilen. Also, nützts nüüt, so schadts nüüt: Machen Sie sich nicht zu viele Sorgen. Es kommt schon gut. Versprochen.

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