Milena Moser reflektiert über die eigene Lebensgestaltung
Hier bin nur ich

In letzter Zeit habe ich vermehrt Mails bekommen, die sich an mein Team richten. Und dann wunderten sich die Absender, dass ich diese selbst beantwortete. «Hier bin nur ich», schreibe ich.
Publiziert: 14.04.2025 um 08:45 Uhr
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Warum sich mit weniger zufriedengeben? Milena Moser erzählt, wie eine Schweizer Freundin mit ihrem spartanischen Lebensstil zeigt, wie man auch mit Kindern und Job alles selbst schafft.
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Darum gehts

  • Milena Moser reflektiert über Selbstbestimmung
  • Mosers Freundin lehnt Hilfe ab, um ein bewältigbares Leben zu führen
  • Ein Freund lässt Job und Luxus hinter sich, um zu tun, was ihn wirklich erfüllt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Milena MoserSchriftstellerin

Eine spartanische Schweizer Freundin erklärte mir vor vielen Jahren, sie wolle «ein Leben leben, das ich auch bewältigen kann». Es ging damals um die Frage, ob sie nicht vielleicht jemanden bezahlen sollte, der für sie putzte. Denn immerhin zog sie drei Kinder gross und arbeitete in einem recht anstrengenden Beruf. Sie machte alles allein, bewusst, überlegt, aus Überzeugung. Während ich damals wie heute übe, Hilfe annehmen zu können, lehnte sie das kategorisch ab. «Wenn dir dein Leben über den Kopf wächst, machst du etwas falsch.» Ich habe sie während meiner diversen Umzüge und Neuanfänge aus den Augen verloren, aber ich denke oft an sie und an diese Einstellung, die mir damals schon bewundernswert, radikal und gleichzeitig auch gefährlich erschien. Im Ansatz selbstzerstörerisch.

Wäre es wirklich falsch, ungeliebte Aspekte des Alltags zu delegieren? Oder auch einfach Dinge, die ich nicht so gut kann? Wie die Steuererklärung auszufüllen zum Beispiel. Das Beantworten von Zuschriften ist allerdings etwas, was mir Spass macht. Das würde ich nicht abgeben wollen. Selbst, wenn ich es mir leisten könnte.

«Ich hab mein Leben wieder», meldet sich ein alter Freund zurück. Er ist Sozialarbeiter aus Leidenschaft, hat sein halbes Erwachsenenleben lang mit grossem Einsatz und auch einem gewissen Mass an Selbstausbeutung das geleistet, was man wohl als Gassenarbeit bezeichnen würde. Und das in den «Gassen» von San Francisco, die weltweit für ihre Verwahrlosung berüchtigt sind. Dann wurde ihm überraschend eine Stelle im privaten Sektor angeboten, eine Führungsposition, die mit einer massiven Lohnerhöhung verbunden war.

Er wusste damals schon, dass ihn die neue Aufgabe nicht auf dieselbe Art erfüllen würde. Aber wer kann schon so viel Geld widerstehen? Er kaufte sich ein kleines Haus am Fusse des Mount Tam, ein beliebter Ausflugsort, der jedes Wochenende von Mountainbikern überrollt wird. Bald kaufte er sich ein eigenes Luxusbike, das mehr kostete als Victors Truck. Ausrüstung, Zubehör, Spezialnahrung. Er verbrachte jede freie Minute auf dem Berg. Sein Bauch wurde kleiner, seine Waden muskulöser, er redete eigentlich nur noch über Geschwindigkeiten und Trainingszeiten und prahlte mit Stürzen und Verletzungen. Ob er glücklich war, wusste ich nicht.

Und jetzt ist er also wieder zurück in den Strassen von San Francisco, in seinem angestammten Beruf, den er mit der alten Leidenschaft ausübt. Das Haus konnte er mit dem neuen, sehr viel geringeren Lohn nicht halten, das Bike hat er verkauft. Den Mount Tam sieht er von weitem, auf der anderen Seite der Brücke. «Ich kann ihn ja immer noch besuchen», sagt er.

Nicht alle verstehen seinen Entschluss. Gerade jetzt, in diesen unsicheren Zeiten, ist doch ein guter Lohn etwas Wichtiges. Doch er sagt, die Dinge, die ihm dieser Lohn ermöglichte, hätte er ja nur gebraucht, um den Job zu ertragen. Um seine Unzufriedenheit zu kompensieren. Und dann konnte er sich nicht mehr vorstellen, den Job zu künden, weil er sich an die Dinge gewöhnt hatte, die er früher gar nicht gebraucht hatte. Es war ein Teufelskreis. Doch einmal erkannt, konnte er aus ihm ausbrechen.

«Es ist mein Leben», sagt er. «Es muss nur mir einleuchten.» Das sagte meine spartanische Schweizer Freundin auch immer. «Hier bin nur ich.»

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