Erinnern Sie sich an Vicky, meine frisch verliebte und krebsoperierte Nachbarin? Sie hat nun mit der Chemotherapie begonnen. Ihre patenten Freundinnen haben einen Online-Terminplan zusammengestellt, in dem man ganz einfach die Mahlzeiten anklicken kann, die man übernehmen will. Weil ich praktisch um die Ecke wohne, habe ich mich gleich mehrmals eingetragen, jedesmal mit demselben Vermerk: «Pasta». Was soll ich sagen …
Doch als ich am Morgen meiner ersten Essenslieferung Vicky anrief, um sie zu fragen, ob sie überhaupt Lust auf Pasta habe, dachte ich wieder einmal darüber nach. Wie schwer es mir fällt, Hilfe anzunehmen. Und dass das vielleicht auch ein bisschen an der Art liegt, wie diese Hilfe angeboten wird. Und ich hätte beinahe wieder aufgelegt, bevor Vicky antworten konnte. Wie oft hatte ich das in den Wochen, in denen ich Victor zu Hause pflegte, gehört: «Soll ich dir was zu essen vorbeibringen? Worauf hast du denn Lust? Gibt es etwas, das Victor nicht essen sollte? Ich könnte Bohnen machen, aber das geht ein bisschen länger. Magst du Bohnen? Ich könnte sie bei euch zubereiten. Hast du einen Dampfkochtopf? Hast du kaltgepresstes Olivenöl?»
Kolumne von Milena Moser
Meist endete es damit, dass ich das gut gemeinte Angebot ablehnte und stattdessen Restaurantmahlzeiten bestellte, die wir uns eigentlich gar nicht leisten konnten. Nicht weil uns keine Hilfe angeboten wurde, sondern weil es mich schlicht überforderte, sie auch anzunehmen. Weil diese Hilfe mit so vielen Entscheidungen verbunden war. In Krisensituation funktioniert man nämlich nur noch sehr selektiv. Der zermürbte Geist kann sich gerade lange genug mobilisieren, um das Doktordeutsch einer Vier-Minuten-Konsultation zu verstehen und einzuordnen. Dann löst er sich wieder in Sorgenkreiseln auf. So etwas wie Menüplanung liegt schlicht nicht mehr drin, selbst die einfachsten Entscheidungen sind zu viel. Ich weiss nicht, wie oft ich in diesen Wochen einfach im Auto sass, in der Krankenhaustiefgarage oder am Strassenrand vor unserem Haus. Wie betäubt starrte ich vor mich hin und versuchte, mich zu erinnern, was ich als Nächstes tun wollte. Ah, ja! Die Türe öffnen! Aussteigen!
Falls Sie also jemandem etwas Gutes tun wollen, fragen Sie bitte nicht: «Was kann ich für dich tun?» Tun Sie es einfach.
In Vickys Fall war die Frage allerdings angebracht. Mit Chemotherapie verhält es sich nämlich wie mit Geburtswehen: Bevor man sie nicht selber durchgemacht hat, kann man sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlt. So wurden auch Vickys Pläne, die brutale Behandlung mit Hilfe von Yoga und ätherischen Ölen zu überstehen, von ihrem Körper über den Haufen geworfen. Sie konnte eigentlich nur auf der Seite liegen und ganz flach atmen. An Pasta mochte sie nicht einmal denken. Das Einzige, was sie jetzt wollte, war Wassermelonenglace. Aber das wusste sie, selbst in ihrem angeschlagenen Zustand. Und das konnte sie auch vermitteln.
«Wassermelonenglace. Alles klar.»
Sobald sie sich ein wenig besser fühlt, werde ich sie bitten, mir das beizubringen.